BMW
BMW i8 Roadster i8 Coupe

Kommentar zur Auto-Zukunft: Beeindruckt uns – einfach!

Ein Appell an die Autohersteller, die uns eine Zukunft in die Regale stellen wie Schoko-Krampusse im Oktober. Worauf sollen wir uns eigentlich freuen? Ein Kommentar.

David Staretz
Zuletzt aktualisiert am 28.08.2023

Die Autoindustrie versorgt uns heute mit plastischen Zukunftsvisionen, die völlig festgeschrieben erscheinen, deren Einlösung aber noch Jahrzehnte auf sich warten lassen wird. Noch nie war das Zukunftsfenster, das uns ständig eröffnet wird, so scharf umrissen und komplett verglast: Elektromobilität, Wasserstoff-Alternative, ein bissel Erdgas, Car2Car-Communication, Car2X-Connectivity, intelligente Verkehrsregelsysteme, adaptive Apps sonder Zahl. Und alles natürlich selbstfahrend, versteht sich. Und was haben wir heute? Den nicht abreißenden SUV-Boom, scheußliche Details aus dem Gruselzoo, aber vor allem: weltweite Absatzsteigerungen scheinbar ohne Ende.

Der Siegeszug der Elektronik mag schlüssig sein im Moment. Wird man dereinst erkennen, wie perfide uns das Auto, das Lenkrad aus der Hand gewunden wurde, ist es garantiert zu spät.

Die bestimmenden Märkte China, USA, Indien warten nicht auf die Zukunft, sie wollen jetzt bedient werden, und zwar im Großformat. Hybridantriebe erspielen Bonuspunkte, sind im Gesamtfußabdruck aber gewiss nicht so heilsam, wie behauptet wird. Alternativprogramme wie Erdgas und Hoffnungsträger Brennstoffzelle scheinen an mangelnden Lobbys zu kranken. Die Zukunft des Dieselmotors ist ungewiss, lässt sich aber nicht so schnell abdrehen.

Vision Mercedes Maybach Ultimate Luxury
© Bild: Mercedes-Maybach

Wir dürfen nicht alles aus unserer bequemen Weltsicht betrachten, sondern müssen an das Gros der untermotorisierten Länder denken, die auch einmal drankommen wollen, und das möglichst billig. Zudem hat jeder Hersteller seinen elektrischen Heiligenschein entflammt, Milliarden gehen in die Entwicklung von Elektrokonzepten. Man weiß nicht, wohin eigentlich. Das Elektroauto gehört zu den simpleren Ansprüchen an die Technik.

Elektrische Zukunft

Dass die Zukunft elektrisch sein wird, scheint ausgemachte Sache. Es geht alles wunderbar Hand in Hand. Der Braunkohleherd lässt sich lokal abschirmen, Flusskraftwerke präsentieren sich eher noch als Ausflugsziele denn als irreversible Naturzerstörung, und Atomstrom beziehen wir von den anderen drüben. Lithium, Kobalt, das sind so semiabstrakte Begriffe aus dem Chemieunterricht, damit muss man sich nicht weiter beschäftigen. Kinderarbeit im Kongo – mag sein, aber welche Großhandelskette leistet sich das nicht? Nach dem Motto „Wie man’s macht, ist es falsch“ lassen sich diese skandalösen Situationen an Mensch, Tier und Pflanzen per Schulterzucken egalisieren. Schließlich wollen wir nichts weiter, als säuberlich in die unvermeidlichen Umweltzonen einzufahren. Elon Musk wird uns -erlösen, der Rest folgt nach.

Wie Rudolf Skarics einmal in der autorevue so lapidar festgestellt hat: „Strom lässt sich nicht mit Bargeld bezahlen.“ Damit hat er die ganze Misere auf den Punkt gebracht, bis hin zur absoluten und totalen Abhängigkeit von institutionellen Firmengeflechten, anonymen Konsortien, denen im Anlassfall kein Gericht beikommen kann – oft schon allein deshalb, weil man sich nicht über den Gerichtsstandort einigt. Hochspezialisierte Rechtsanwälte und Anlageberater übernehmen von Modellen wie Ikea, Google, Facebook, Amazon die effizientesten Tricks, um Steuern zu sparen, Geldflüsse zu optimieren, Kunden am Gängelband zu halten. Alles völlig legal und undurchschaubar.

VW I.D. Vizzion Elektroauto
© Bild: Volkswagen

Das Elektroauto bietet erstmals die Möglichkeit zur absoluten Totalkontrolle des Auto-Users, mag das jetzt noch so weltverschwörerisch klingen. Wir sind geliefert, in jeglichem Sinne. Man kennt unsere Wege, der BMW i4s wird uns morgens vorgewärmt und mit der Lieblingsmelodie empfangen. „Wir müssen heute mit fünfzehn Minuten Fahrzeitverzögerung durch erhöhtes Verkehrsaufkommen rechnen“, hat er bereits um 6.30 Uhr via Alexa verkündet. So jedenfalls deklinieren uns die Autohersteller das rauf und runter, ohne dabei die Zunge in die Backe zu schieben. Die meinen das ernst. Halten wir fest: Jegliche Zukunftsvision der Autohersteller ist töricht. In kurzer Zeit haben sich Mobilitätsdienstleister ein Portefeuille angeeignet, das ihnen überhaupt nicht zusteht. Sie reklamieren unsere Zukunft für sich, ohne dass sie darum gebeten wurden.

Der Kunde als Beiwerk

Was tun? Jammern hilft nicht. Wir sind eh außer Obligo. Niemand verlangt unserem Kleinstadtdenken ab, die Welt zu retten. Hauptsache, die Leasingrate stimmt. Vielleicht ist das ein Irrglaube, aber es sieht so aus, als würde der Kunde seine konventionelle Kraft als Regulativ verlieren, er wird eher als beiläufiger Index geführt, um längst gefällte Entscheidungen zu begründen. Dabei muss man einräumen: Der Autokäufer, die Autokäuferin läuft in der Regel dorthin, wo es billig, sicher, massig zugeht. Hohe Sitzposition!

Völlig unverständlich dabei, wie sehr sich die Automobilindustrie der Jugend verschließt. Über welches pfiffige Auto kann sich ein Führerscheinneuling heute freuen? Gebrauchter Lupo als höchstes der Gefühle? Mazda MX-5, Rettung der jungen Menschheit?Und, wie man kürzlich mit Überraschung auf dem Genfer Automobilsalon feststellen musste: Es gab heuer keine -einzige Kleinwagenpremiere.

Kommentar zur Auto-Zukunft: Beeindruckt uns – einfach!
© Bild: Andreas Riedmann

Tatsächlich haben wir es meist mit egomanischen SUVs und Crossovern zu tun, die scheinbar hemmungslos an Fahrzeuggröße zulegen, nicht einkalkulierend, dass der Stadtraum gleich bleibt.

Kann das Zukunft sein? Vornehmlich scheint man ein Problem mit dem nächstgrößeren zu überdecken. An echte Einsparung denkt in der Autobranche niemand. Man hofft, möglichst elegant und vor allem lukrativ von unserer Verbrenner-Misere in das geordnete Kabelwerk der Elektromobilität hinüber zu rutschen, ohne dabei wesentliche Zugeständnisse zu machen. Die Zurichtung des Users wird auf sämtlichen bekannten und etlichen neuen -Kanälen passieren, automatisierter Pizzaliefer-service inklusive, alles dank künstlicher Intelligenz eingepeilt und automatisch verbucht. Die große Freiheit Automobil, für die wir uns bis vor Kurzem noch begeistert haben, dieses spielerische Lenkbedürfnis, all das Schalten und Drehen, die maschinistische Verantwortung, die Könnerschaft in der täglichen Herausforderung, selbst der Zeitpunkt des Aufbruchs und die Routenwahl sollen uns genommen werden. Imaginäre Werbetafeln säumen unsere Fahrt.

Über welches pfiffige Auto kann sich ein Führerscheinneuling heute freuen? Mazda MX-5, Rettung der jungen Menschheit?

Was wir hingegen immer noch vermissen, ist ein legitimer Nachfolger des Citroën 2CV oder eines anderen Genialisten der Einfachheit. Beeindruckt uns damit! Kompliziert geht immer.

Paradoxerweise sind es am ehesten noch Supersportwagen, die dem Elementaren am nächsten kommen, knochentrockene Vollzugsmaschinen wie der Lamborghini Huracán Performante oder der Aston Martin Vantage. Ausgerechnet sie sind frei von Assistenzsystemen, diesen neuralgisch gewordenen Stimmungsverderbern, piepsgewordenen Schulmeisterlein, seelenlosen Zulieferteilen, derer man nicht Herr wird – offensichtlich nicht einmal mehr die Autohersteller selbst. Der Siegeszug der Elektronik mag schlüssig sein im Moment. Wird man dereinst erkennen, wie perfide uns das Auto, das Lenkrad aus der Hand gewunden wurde, ist es garantiert zu spät.

Aston Martin Vantage V8
© Bild: Aston Martin

Mag sein, man unterstellt uns, am eigenen Ast zu sägen, ins eigene Nest zu schmutzen. Dagegen würden wir uns wehren. Wir sehen unsere Aufgabe darin, einen freudvollen Umgang mit den Dingen des Lebens zu pflegen, das Automobil als erhebenden Beitrag darin zu betrachten, mit Vergnügen und mit Verantwortung. Freilich haben wir auch keine Generallösung zu bieten, sehen uns aber immer wieder angeregt, die Zukunftsmodelle der einzelnen Hersteller einer kritischen Überprüfung zu stellen. In den über fünfzig Jahren ihres Bestehens hat die autorevue immer eine Linie der freundlichen Zurückhaltung gepflogen, nie sektiererisch, immer unter dem unausgesprochenen Vorzeichen, dass es noch wichtigere Dinge gibt im Leben als das Auto. Aber die Kombination aus Technik und Eleganz, aus Bedienungsfertigkeit und Kraftbändigung, das Zusammenspiel der Systeme und die Art, eine Kurvenkombination zügig, sicher und mit konzentrierter Aufmerksamkeit unter sämtlichen Wetterbedingungen hinzulegen, das alles ist ein Quell nicht versiegender Begeisterung am Autofahren, die wir uns nicht von anonymen Konsortien der Freudlosigkeit nehmen lassen wollen.

Ein Artikel aus der Autorevue Extra 2018Aktuelle Abo-Angebote findet ihr hier