Fords Weg zum großen Ziel
Auf dem Weg von Fords Ziel die 24 Stunden von Le Mans zu gewinnen, wird der schier übermächtige Konkurrent Ferrari bezwungen, dennoch dauert es, bis zum ganz großen Erfolg.
Zuerst zum ersten Teil der Ford GT40-Geschichte, dann zum zweiten Teil und hier nun der dritte Teil:
Für den 12. Juli 1963 hatte Lee Iacocca eine Sitzung in Dearborn einberufen. Die erste Rede hielt Don Frey, jener Mann, der Ferrari nicht gekauft hatte – und er verkündete, dass Ford eine Tochter-Firma gründen werde, genannt «Ford Advanced Vehicles», die einen ersten Prototypen für das 24-Stunden-Rennen in Le Mans konstruieren werde. FAV sollte mit den Ressourcen eines großen Unternehmens ausgestattet werden, dabei aber flexibel und wendig bleiben wie ein kleines Team. Und dann sagte Frey auch noch: „Unser Ziel ist es, dass der Wagen in einem Jahr rennfertig ist.“ Also rechtzeitig für Le Mans 1964.
Wie hält man das Fahrzeug am Boden?
Dann sprach Rob Lunn. Er erzählte von seinem Ausflug nach Le Mans ein paar Tage zuvor: Ferrari hatte bei den 24 Stunden die Ränge 6, 5, 4, 3, 2 und natürlich auch 1 belegt. Lunn hatte das Rennen genau analysiert und war zum Schluss gekommen, dass ein zukünftiges Sieger-Fahrzeug – und von nichts anderem wurde in Dearborn gesprochen – mindestens 200 Meilen Höchstgeschwindigkeit erreichen musste. Bei dieser Geschwindigkeit heben Düsenjets ab, erklärte er, unser Problem wird sein, wie wir das Fahrzeug am Boden behalten können.
Die großartigste Form des Automobilbaus
Er zeigte dann auch Bilder des Ferrari 330P, Siegerwagen in Le Mans, Mittelmotor, aerodynamisch ausgefeilt. Es sei dies derzeit die großartigste Form des Automobilbaus, verkündete er, ein zukünftiger Ford-Rennwagen werde ähnlich aussehen müssen. Außerdem, so war er der Überzeugung, müsse das Budget mindestens siebenstellig sein – und das Zentrum von FAV unbedingt in Europa (die Aerodynamik aber im Windkanal der Universität Maryland getestet werden könne). Iacocca nickte das alles sofort ab; er wusste, dass dieses Projekt viel, viel mehr kosten würde. Und dass sich der wichtigste Mann, mit dem sich das ambitionierte Ziel vielleicht erreichen ließe, gar nicht im Raum befand.
Das Team wird zusammengestellt
Kurz darauf war die passende Lokalität auch schon gefunden, im englischen Slough, nicht weit vom Flughafen Heathrow entfernt. Das war wichtig, denn es mussten Material und Fahrzeug ein- und ausgeflogen werden können. Außerdem versammelte sich in Slough jede Menge automobiles Talent. Lunn blieb Chef-Ingenieur, auf gleicher Stufe wie der neue Team-Chef John Wyer, der bei Aston Martin abgeworben worden war; Aston und Wyer waren 1959 das letzte Team gewesen, das Ferrari hatte schlagen können. Ebenfalls an Bord waren Phil Remington, Chef-Ingenieur von Carroll Shelby, und Eric Broadley – und mit ihm ein Fahrzeug, das die Geschichte des Ford GT40 entscheidend prägte. (Und da verweisen wir doch gerne auf diese Story hier) Als ersten Fahrer verpflichtete John Wyer einen jungen Mann aus Neuseeland mit einem breiten Lächeln, zwei unterschiedlichen langen Beinen und einer guten Ausbildung als Renn-Ingenieur: Bruce McLaren.
Aber auch in Dearborn war man fleißig
Das Design-Team unter Leitung von Eugene Bordinat erstellte ein erstes Tonmodell nach den Vorgaben von Lunn. Diese ersten Berechnungen ergaben eine Länge von 156 inch und eine Höhe von 40 inch – was dem neuen Fahrzeug auch gleich seinen Übernamen bescherte. Auch in Sachen Motorisierung war eigentlich schon alles klar. Es sollte der 256-ci-Motor aus dem Ford Fairlane verwendet war, der auch die Basis für den Ford-Antrieb bei den 500 Meilen von Indianapolis war. Die Ingenieure waren überzeugt, dass die Maschine mit ihren 350 PS auch 24 Stunden durchhalten könnte. Was die Marketing-Strategen natürlich freute, sie stellten sich schon die Schlagzeilen vor: Ferrari in Le Mans geschlagen von einem Ford Fairlane.
Garantiert kein Aprilscherz
Nun waren die 24 Stunden von Le Mans damals (wie auch heute noch) ein brutales Rennen. Die Regeln waren relativ einfach und klar, bei den Tankstopps musste der Motor ausgemacht und über einen Anlasser wieder gestartet werden; fiel das Licht aus, war das Rennen fertig. Lunn reiste quer durch Europa, um die damals besten Komponenten einzukaufen, Borrani-Felgen, Colotti-Getriebe, Girling-Bremsen. Zum ersten Mal in der Automobil-Geschichte wurden für die Berechnungen aller wichtigen Daten auch Computer eingesetzt. Am 1. April 1964 war das erste Auto fahrbereit.
Große Ansage und erste Zweifel
Und am gleichen Tag erhielt Lunn einen Anruf aus Dearborn: es verlangte Henry Ford II danach, sein neues Spielzeug zu sehen. Und sich mit ihm sehen zu lassen, bei der Eröffnung der New York Auto Show. Die am 2. April stattfand. Und es war dies keine Bitte an Lunn, sondern ein klarer Befehl. Es wurde ein glorreicher Auftritt von «the Deuce» und Iacocca, die Zeitungen in aller Welt waren voll mit den Neuigkeiten rund um das Fahrzeug, das Ferrari in Le Mans in den Arsch treten wollte. Im Publikum saßen auch John Wyer und Rob Lunn; sie waren allerdings nicht ganz so enthusiastisch. Denn sie wussten ja, dass knapp zwei Wochen später die ersten Testfahrten in Le Mans stattfanden – und ihr Rennwagen noch keinen Kilometer gefahren war. Und was auch nicht gut war: Eric Broadley war bereits nicht mehr im Team.
Und dann der Worst Case
Am 18. April 1964 begann das traditionelle Testwochenende in Le Mans. Ford brachte zwei GT40 nach Frankreich, und auch nur zwei Fahrer: den Engländer Roy Salvadori, der an der Seite von Carroll Shelby 1959 auf Aston Martin Le Mans gewonnen hatte, und den Franzosen Jo Schlesser, der mehr Unfälle als Siege in seinem bisherigen Rennleben hatte, aber von der französischen Ford-Organisation ins Team gedrängt wurde. Salvadori drehte die ersten Runden – und verkündete, dass das Fahrzeug bei etwa 270 km/h plötzlich sehr leicht wurde, die Bodenhaftung verlor. An der Box wurde fleißig diskutiert, man schickte Schlesser auf die Piste. Auf der ersten Runde ging alles gut, auf der zweiten verlor Schlesser auf der Mulsanne-Gerade bei etwa 260 km/h die Kontrolle über sein Fahrzeug. Als er an die Box zurückkam, war er zwar unverletzt, brauchte aber einen Sessel – und einen Schnaps. Und der erste GT40 hatte einen Totalschaden. Am Sonntag zerstörte Salvadori auch den zweiten GT40 – während John Surtees auf seinem Ferrari mit 312,15 km/h einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufstellte. Wenige Tage später verunglückten zwei Ford-Piloten bei den 500 Meilen von Indianapolis tödlich; die Rennsport-Saison 1964 stand bei Ford unter keinem glücklichen Stern.
Die 24 Stunden von Le Mans 1964
Das Rennen in Le Mans fand am 20./21. Juni 1964 statt. Im Training zeigte Surtees in seinem Ferrari 330P gleich einmal, wo der Hammer hängt, er verbesserte seinen eigenen Trainingsrekord um mehr als 10 Sekunden auf 3:42. Doch gleich dahinter kam schon der erste GT40 mit Richie Ginther (mit Masten Gregory) am Steuer, 3:45,3, Phil Hill (mit Bruce McLaren) lenkte seinen Ford auf den 4. Rang im Qualifying, 3:45,9, Richard Atttwood (mit Jo Schlesser) kam auf Rang 9 in 3:55,4. John Wyer war zufrieden, auch deshalb, weil seine Fahrzeuge problemlos liefen.
Schneller als der Ferrari 330P
Phil Hill vermasselte dann den Start, nahm das Rennen an letzter Stelle auf. Vorne fuhr zuerst Surtees an der Spitze, doch nach einer Stunde wurde er von Ginther auf der Mulsanne-Geraden überholt. Was niemand für möglich gehalten hätte: der GT40 war schlicht und einfach schneller als der Ferrari 330P. Zwar wurde die Höchstgeschwindigkeit im Rennen nicht offiziell gemessen, doch Ginther schaffte fast 340 km/h, als er Surtees überholte. Zu dem Zeitpunkt hatte sich der GT40 mit der Startnummer 12 von Attwood/Schlesser aber schon aus dem Rennen verabschiedet – Getriebeprobleme. Nach 63 Runden und hartem Kampf um die Spitzenposition fiel auch die Startnummer 11 von Ginther/Gregory aus – Getriebeprobleme. Es blieb noch Nummer 10 mit Hill/McLaren, die tapfer kämpften, um 5:20 Uhr in der Früh mit 3:49,2 auch einen neuen Rundenrekord schafften – und wenige Minuten an die Box fuhren. Wieder: Getriebeprobleme. Das Rennen war zu Ende für Ford – Ferrari holte sich einen Dreifach-Sieg.
„Vierter ist nicht schlecht. Nächstes Jahr packen wir ihn“
Es ereignete sich aber in Le Mans noch eine andere Geschichte, die wichtig ist – weil es ja immer um die Zusammenhänge geht. In der Klasse der GT-Fahrzeuge gewannen nämlich Dan Guerney/Bob Bondurant auf einem Shelby Cobra Daytona «powered by Ford», sie kamen im Gesamtklassement auf Rang 4 – vor zwei der deutlich favorisierten Ferrari 250 GTO. Und ein großer Texaner mit Cowboy-Hut namens Carroll Shelby, jener Mann, der bei der Sitzung in Dearborn im Juli 1963 noch gefehlt hatte, meinte nach dem Rennen: „Vierter ist nicht schlecht. Nächstes Jahr packen wir ihn.“
Hier gibt’s den vierten Teil der GT40-Serie.
Vielen Dank für diesen Beitrag an die Kollegen von radical-mag.com