Supertest 2015: Radical RXC Turbo

Radical gilt unter Kennern als eine der Autoschmieden, wo das Fahren an sich über allem steht, hier muss der Pilot wachsam sein, denn er gibt alles vor.

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Veröffentlicht am 25.12.2015
Peter Ruch war unser Gast beim Supertest 2015, wir wollen euch seine sehr lesenswerten Berichte nicht vorenthalten.

Radical Sportscars existiert seit 1997. Damals empfanden zwei Engländer alles, was auf den Rennstrecken rumkurvte, als zu langweilig, zu teuer – und zu schwer. Aus dem Nichts bauten sie Fahrzeuge und eine dazu passende Rennserie auf, die erstaunlich erfolgreich wurde: 1.900 Autos hat Radical seither verkauft, das ist schon sehr beachtlich. Und die Fans von Radical sind mehr: Freaks, sie wollen nichts anders, sie wissen, dass sie nur mit weitaus teureren Rennern ähnlich viel Spaß haben können. Zwischendurch versuchten es die Engländer auch immer wieder mal mit Abwandlungen für die Straße, doch dies mit eher mäßigem Erfolg, das Problem war ein ähnliches wie bei KTM: die Alltagstauglichkeit war an einem sehr geringen Ort. Und die Sache mit dem Helm machte das auch nicht besser.

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© Bild: Peter Ruch

Radical RXC, sexy, roh und wild

Im vergangenen Jahr überraschte Radical dann nicht nur die Fachwelt mit dem RXC. Das steht für Radical Xtreme Coupé, womit auch gleich klar ist, dass es keinen Helm mehr braucht, weil, eben: Coupé. Doch vor allem bleibt es bei «radical» und «extrem», form follows function, Mittel-Motor und das entsprechende Design mit der weit vorne platzierten Passagierkabine, grobe Spoiler allerorten: es ist auch optisch ein wildes Gerät, dieser RXC. Und irgendwie sexy, roh und wild, nicht so harmoniebeflissen wie die Produkte aus der Großindustrie. Selbstverständlich wird das Teil handgefertigt, man kann an Farben und Individualisierung so ziemlich alles wünschen, was der Radical-Fahrer braucht – auffällig ist der RXC sowieso, auch wenn Bentley und Aston und so daneben stehen wie beim #Supertest2015, sind alle Blicke nur auf den Radical gerichtet. Der dann, wenn man die Maschine anwirft, allerdings etwas enttäuscht: sie tönt mehr nach Staubsauger denn nach Waffe für die Rennstrecke. Was der EU-Zertifizierung geschuldet ist: der RXC ist komplett straßentauglich (außer vielleicht: in Österreich).

Was er mit einem F1-Boliden gemeinsam hat

Nur gerade 2,6 Sekunden, behauptet der englische Hersteller, braucht der RXC für den Paradesprint von 0 auf 100 km/h. Einverstanden, ein Formel-1-Rennwagen kann das noch etwas schneller. Doch in einem F1 findet ja auch nur eine Person Platz, Radical sind es zwei (allerdings: ohne Gepäck, wie der Formel-1-Wagen hat er keinen Kofferraum). Vorteil RXC, wie erwähnt: er verfügt über eine Straßenzulassung.

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© Bild: Peter Ruch

Der Pilot hat es in der Hand, alles

Diese hingegen muss man mit dem gebührenden Respekt behandeln. Einem Fahrzeug mit über 500 PS und weniger einer Tonne Gewicht muss auch der geübte Fahrer auf der Straße mit ebendiesem Respekt, viel Ruhe, am besten: mit Demut begegnen. Dies deshalb, weil die wilde Kraft aus dem 3,5-Liter-V6-Doppelturbo nicht elektronisch über ein ESP eingefangen werden kann, sondern es allein in den Händen, Füssen, Augen und sonstigen wachen Sinnen des Piloten liegt, den Wagen zu beherrschen. Ungewohnt ist dies, weil unterdessen ja auch schwächliche Kompakt-SUV über elektronische Fahrhilfen verfügt, von der Anfahrhilfe über den Spur-Assistenten bis zum Park-System. Der Radical hat nichts davon – er hat nicht einmal ABS. Dies nicht etwa deshalb, weil der englische Hersteller solches technisch nicht beherrschen würde, sondern ganz einfach darum, weil es hier um das puristische Fahren eines Automobils geht. Und um das Gewicht.

Hellwach musst du schon sein

Also: Mensch fährt Automobil. Nicht: Elektronik transportiert Mensch. Das bedeutet halt auch: hellwach, immer voll konzentriert, dauernd im Wissen, dass es physikalische Gesetze gibt, zu denen das Verfassen von Power-Point-Präsentationen am Lenkrad nicht wirklich passen. Der Radical braucht jederzeit alle Sinne, man hört das Klappern der frei schwimmenden Bremssättel, man riecht die Gefahr, die von SMS-schreibenden Verkehrsteilnehmern auf der Straße ausgeht, man schmeckt die Endorphine und das Adrenalin, die der Körper ausschüttet, man sieht nicht nur auf dem Tacho, wie unglaublich schnell man unterwegs ist. Und man will mit dem ganzen Körper das pure Fahrervergnügen spüren, festgezurrt in einer zwar engen und doch wunderbar komfortablen Rennschale, die Hände an einem winzigen Alcantara-Lenkrad, die Füße auf einer filigranen Pedalerie.

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© Bild: Peter Ruch

3 Hürden gilt es zu überwinden

Zwar öffnen die Flügeltüren schon weit nach oben, doch die seitlichen Verstrebungen sind zu breit, um schön elegant auf den Sitz zu gleiten. Auch das Anlegen der 5-Punkt-Gurten gehört eher zu den anstrengenden Tätigkeiten. Genau wie das Starten der Maschine: Ergonomie und einfache Bedienbarkeit stand nicht besonders weit oben bei der Konstruktion des RXC. Und dass die Engländer gerne Fallen einbauen bei der Elektrik, das ist auch schon seit Jahrzehnten bekannt. Bei diesem Wagen sind es derer drei, zuerst muss man mal den Schlüssel rechtwinklig zur Lenksäule irgendwo im Dunkeln in ein Loch würgen, dann gibt es einen Master und einen Startknopf.

Kaffeepause hilft

Wie diese zwei allerdings aufeinander reagieren, das ist ein bisschen, nun, zufällig. Meist dann, wenn man es eilig hat, wollen sie nicht miteinander kooperieren. Dann geht man am besten nochmals einen Kaffee trinken, nähert sich dem Wagen danach mit guten Worten noch einmal, beginnt alles von vorne.

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© Bild: Peter Ruch

Die letzte Hürde

Sitzt man dann aber bequem (und das ist wirklich kein Problem), hat den Motor in Gang gebracht, wartet die nächste Klippe: der RXC wird über ein sequentielles 7-Gang-Renngetriebe geschaltet, das allerdings für den ersten Gang und das Anfahren eine Kupplung braucht. Diese funktioniert so einigermaßen im binären Modus: greift – oder geht halt nicht. Der RXC-Anfänger wird den Wagen zu Beginn entweder abwürgen – oder dann davonschiessen lassen. Irgendwann hat man aber das Zusammenspiel von linkem und rechten Fuß aber auch verstanden (die Sinne sind ja, wie erwähnt, sehr, sehr wach, jederzeit) – und dann. Ja, dann.

Respekt und Demut

Es muss deutlich gesagt sein: Ein Porsche 911 GT3 RS oder ein Ferrari 458 Speciale sind im Vergleich zum Radical RXC adipöse Warmduscher. Nicht unbedingt, was den Komfort betrifft, wir sind dem Radical von Wien ins Bünderland gefahren, problemlos, ohne Rückenschmerzen, ohne Ohrensausen. Aber was Fahrleistungen, Fahrvergnügen, Fahrpräzision betrifft, da kann wohl derzeit kein anderes Gerät dem Engländer das Wasser reichen. Die Vorderachse, die Mutter aller schnellen Rundenzeiten und fröhlichen Passfahrten, ist perfekt abgestimmt: Der Pilot denkt, der RXC fährt in vorauseilendem Gehorsam schon einmal dorthin, wohin ihn das Auge haben will. Die Bremse: perfekt dosierbar – und auch ohne Karbon und ABS mehr ein Anker als nur gleichmäßige Verlangsamung. Selbstverständlich wird der Hinterwagen unruhig, wenn man etwas zu heftig mit dem Gaspedal spielt, wir sprechen in der zweiten Evolutionsstufe von deutlich über 500 PS und einem maximalen Drehmoment von 680 Nm, doch genau das will der Sportfahrer ja so haben. Brav kündigt der Radical an, das es jetzt dann bald einmal zu viel des Guten ist, dass Talent und schnelle Reaktionen gefragt sein werden. Fahren – nicht gefahren werden. Und es zeigt sich einmal mehr, dass Hubraum durch nichts zu ersetzen ist – außer durch mehr Leistung. Und weniger Gewicht. Beim RXC Turbo liegt das Leistungsgewicht bei unter 2 Kilo pro PS.

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© Bild: Peter Ruch

Posen? Niemals

Ganz klar: dem Radical-Piloten werden zuerst Mut und Talent und dann wahrscheinlich auch noch die Straße ausgehen, bevor der RXC an seine Grenzen kommt. Die Anschaffung eines solchen Fahrzeugs lohnt sich eigentlich nur dann, wenn es so oft wie möglich auf der Rennstrecke bewegt werden kann. Zum Ausflug ins Tessin taugt es eigentlich nur dann, wenn man um vier Uhr morgens losfährt und von Bern her noch Susten, Furka und Nufenen einbaut; vors schicke Café braucht man ihn nicht zu stellen, es erkennt den Radical eh nur der Auskenner. Und die Beifahrerin wird sich herzlich bedanken, denn das Aussteigen ist lady-like unmöglich. Der Radical RXC Turbo kostet ziemlich genau 100.000 Pfund. Das ist im Vergleich zu Sportwagen mit vergleichbaren Fahrleistungen: ein Schnäppchen.

(Wir bedanken uns herzlich bei Radical Sportscars Switzerland, die uns den RXC für den #Supertest2015 der geschätzten «auto revue» zur Verfügung gestellt hat. Wohl noch nie hatten wir so viel Spass – nachdem wir den Respekt etwas ablegen konnten.)

Besten Dank an die Kollegen von radical-mag.com