Duft im Auto: Wohlgeruch statt Kohlgeruch

Nach dem Geschmack ist der Geruch die windigste Sinneserfahrung, geht aber tief in die Rezeption. Vor allem, wenn was stinkt.

David Staretz
Zuletzt aktualisiert am 10.04.2019
Ein Artikel aus der Autorevue Extra 2019Aktuelle Abo-Angebote findet ihr hier
Duft im Auto: Wohlgeruch statt Kohlgeruch
© Bild: Werk

Ja, der Mief. Erst wenn etwas übel riecht, tritt der sonst meist vernachlässigte aller Sinne in Aktion, jedenfalls bei Männern. Frauen sind da feinfühliger. (Behaupten ständig, Gas zu riechen – meistens stimmt es dann auch. Dieses Phänomen ist sogar wissenschaftlich untermauert.) Olfaktorisch ist die Passagierkabine im Auto eine hochverdichtete Duftkakophonie. Schließlich soll der Mensch über eine Billion Gerüche unterscheiden können. Meist bemerkt man sie aber nur dann, wenn, siehe oben, Gestank herrscht. Oder Wunderbaum, was für Protagonisten einer feineren Lebensart diesem gleichkommt. Danach gehen sie feierlich blindverkosten und können Weiß- von Rotwein nicht unterscheiden. (Ebenfalls wissenschaftlich untermauert).

Also: Alles in allem ist Duft ein schwieriges Kapitel ohne feste Bezugspunkte. Wirklich gut riechen auf eine männlich vertretbare Art tun nur teure alte Autos: Leder, Benzin, Holz, verschmorte Kabel, ausgetretenes Öl, Hundehaare. Charaktervoll nennt man das. Auf jeden Fall erträglich, so lange keine Feuchtigkeit dazukommt. Kellerfeuchtes Mirchteln, Schimmel, kalte Zigarettenreste – da hilft nur noch Generalreinigung und Ozonbehandlung beim Spezialisten.

Duft im Auto: Wohlgeruch statt Kohlgeruch
Daimler-Benz versucht, dem Duft sinnlich-­elementare Bedeutung zu verleihen. Also erfährt Beduftung ihre S-Klasse-­Distinktion im Klimamenü. © Bild: Werk


Wer aber bereits im Neuwagen ein feines Näschen pflegen will, kann dies per Duftoptimierung tun. Als Pioniere haben sich die Franzosen hervorgetan. Die ersten einsteckbaren Duftflakons im Citroën C4 waren aber so penetrant, dass sie bald den Weg durchs Seitenfenster nahmen. Jetzt beleben solche Duftanstecker vornehmlich den Zubehörhandel als Mitnehmartikel in Kassanähe. Easy Clip rot, Strawberry Duft, 4 Stk. € 4,99. Besonderes Merkmal: „Duftet überall“. Was Frauen aber besonders übel aufstößt: Von fremdem Parfum imprägnierte Sicherheitsgurte beifahrerseits. Diese Textilie ist wirklich höchst verräterisch.
Wie man sieht, ist das Thema zu tiefgreifend, um es Amateuren zu überlassen. Deshalb hat Mercedes eine eigene Abteilung für Duftkompetenz eröffnet, wo die Futorologin Sabine Engelhardt „für das Aufspüren von gesellschaftlichen Entwicklungen, kulturellen Bewegungen und soziologischem Wandel, Werten und Sehnsüchten, Trends und kreativen Strömungen“ zuständig sei, so der Haussprech. Demnach konnte man ihr auch das ebenso vage Duftkapitel überantworten. Auf Reisen in Citys und Megacitys zusammen mit Kollegen Mankowski (für den männlichen Riecher) erkundete sie Strömungen von Innovation und Kreativität. Das ALLES mündete dann in die aus der aktuellen S-Klasse bekannten vier Duftkreationen. Serienmäßig ist „Freeside Mood“ eingespeichert, laut Engelhardt „ein unauffälliger, aber präsenter ­Zitrusduft, sehr rund, ohne Ecken und Kanten“. Gegen Aufpreis kann man im Klimamenü noch „Downtown Mood“, „Sports Mood“ oder „Nightlife Mood“ entfachen. Auf weitere Essenz ihrer Erhebungen angesprochen, meint die Zukunftsforscherin, über das Beduften hinaus herrsche ein globaler Trend zu Green Luxury. Na fein, damit können wir doch alle leben!

„Der optimale sinnliche Komfort, die Behaglichkeit der
Menschen, die im Fahrzeug sitzen und die ja heutzutage
schlussendlich immer öfter mit geschlossenen Fenstern fahren
müssen, weil die Umwelt eben zu aggressiv geworden ist.“

Andreas Freytag von Loringhoven

Duft im Auto: Wohlgeruch statt Kohlgeruch

Doch zurück zum Thema Grundduft Der beste ist immer noch der, den man nicht riecht. Deshalb testen alle deutschen Autohersteller nach der gleichen Methode. Dabei wird der Innenraum auf 65 Grad Celsius erhitzt, denn bei hohen Temperaturen werden die meisten Schadstoffe frei. Etwaige Stinkquellen werden „abgestellt“, was immer das bedeutet. Als Mercedes in den Neunzigerjahren mit Natur- und Recyclingmaterialien zwecks Schalldämmung experimentierte, musste man das besonders rasch abstellen.
Der asiatische Markt hat eine neue Smell- Awareness geschaffen. Denn einerseits müffeln speziell chinesische Autos besonders übel (dort wird bei moderaten 23 Grad Innentemperatur getestet, wehe, es wird später wärmer), andererseits und demnach sind dort härtere Duft-Bandagen gefragt. Der Markt ist eröffnet!
Ein aus Salzburg stammender Weltenbürger, Andreas Freytag von Loringhoven (das „von“, obwohl hier Namensbestandteil, wird freilich inkriminiert, was auch unseren Bundespräsidenten treffen könnte), Freytag Loring­hoven also besitzt seit 1978 eine feine Duftstoff-Produktion namens Azur Fragrances in Mouans-Sartoux bei Grasse, demnach in olfaktorisch bester Lage, wovon wir uns bei einem Besuch überzeugen konnten. Hier stellen seine Mitarbeiter in einer sonnigen Grundstimmung von Laissez-faire gesuchte Duftstoffe her, zumeist für die Industrie – für Parfüms und Deodorants, Seife, Shampoo, Spül- und Waschmittel, für Raumsprays, Kerzen oder Rasierschaum. Alles unter laufender ISO-Zertifizierung und mit hoher Fertigungstiefe. Zugeliefert werden eigentlich nur die Rohmaterialien. Andreas Freytag, ein liebenswürdiger Charmeur der alten Schule, hat noch ein weiteres Anliegen: „Den optimalen sinnlichen Komfort, die Behaglichkeit der Menschen, die im Fahrzeug sitzen und die ja heutzutage schlussendlich immer öfter mit geschlossenen Fenstern fahren müssen, weil die Umwelt eben zu aggressiv geworden ist, womit sich der Kreis wieder schließt.“

Sein Credo: bloß keine Brachialbeduftung, vielmehr sei eine atmosphärisch angenehme Grundstimmung herzustellen. Schon vor Jahren hat er dafür Atmospheric Conditioning entwickelt, Duftkörper aus Polymeren, die in verschiedener unauffällig Form bereits am Fließband in das Auto-Lüftungssystem integriert werden können. Also ein integriertes System, das harmonischer in das Gesamtkonzept eingreifen soll. Dafür konnte er bereits die Deutsche Bahn und mehrere Automobilhersteller begeistern, zuletzt landete er einen massiven Coup mit der chinesischen Topmarke (und Volvo-/Lotus-/Londontaxi-Besitzer) Geely, worüber aber noch mehr geschwiegen als geredet werden soll. Schließlich ist das Duft-Thema ja ein grundsätzlich dezentes. Jedenfalls solange kein ­Gestank herrscht.