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Die Geschichte des Sicherheitsgurts, der alle 7 Sekunden ein Leben rettet

Die Geschichte des Sicherheitsgurts, der alle 7 Sekunden ein Leben rettet

Ein Blick auf die Geschichte des Sicherheitsgurts zeigt, wie sehr dieser mit anfänglicher Ablehnung zu kämpfen hatte und sich schließlich doch durchsetzen konnte.

Veröffentlicht am 14.12.2022

Als eine der größten Erfolgsgeschichten der Automobilindustrie gilt immer noch der Sicherheitsgurt. Er ist Lebensretter Nummer 1 auf den Straßen – noch vor dem Airbag und rettet statistisch betrachtet alle sieben Sekunden ein Menschenleben. Interessante Fakten zum Sicherheitsgurt hier im Überblick.

1902: der erste Sicherheitsgurt

Schon vor weit über 100 Jahren wurde der erste Sicherheitsgurt in ein Fahrzeug verbaut – allerdings in ein Fahrzeug das nicht für den Straßenverkehr zugelassen war. Es handelte sich um einen Geschwindigkeitsrekordwagen mit dem klingenden Namen „Baker Torpedo“.

Das erste Patent auf einen Vierpunkt-Sicherheitsgurt

Bereits ein Jahr später, im Mai 1903, wurde in Frankreich von Gustave-Désiré Leveau ein Patent auf einen Vierpunkt-Sicherheitsgurt eingebracht und zugelassen. Noch im gleichen Jahr erfand Louis Renault einen Fünfpunkt-Sicherheitsgurt.

Der Durchbruch durch Volvo-Ingenieur Nils Ivar Bohlin

Der wirkliche Durchbruch ließ aber noch einige Jahre auf sich warten. Der Volvo-Ingenieur Nils Ivar Bohlin war schließlich für den ersten Dreipunkt-Sicherheitsgurt verantwortlich – im Jahr 1959 wurde das Patent auf diese, in groben Zügen auch heute noch verwendete, Gurt-Variante auf ihn ausgestellt. Beeindruckend: Bereits zwei Jahre später hatten 77% der neu zugelassenen Autos in Schweden Sicherheitsgurte.

Pflicht zum Einbau in Neuwagen im Jahr 1974

Die Vorschrift für Autohersteller, dass der Gurt verpflichtend in jedes neue Auto eingebaut werden muss, besteht in Deutschland allerdings erst seit dem 1. Jänner 1974. Das war für die meisten Autofahrer aber noch lange kein Grund, diesen auch zu verwenden.

Einführung der Anschnallpflicht

Vielmehr sahen sich viele Autofahrer in Deutschland angesichts der Anschnallpflicht auf den Vordersitzen ihrer Freiheit beraubt. Heftige Debatten begleiteten daher die Einführung dieser Pflicht am 1. Jänner 1976, die allerdings mangels Bußgeldverordnung bei Verstoß ohnehin noch einige Jahre ziemlich zahnlos blieb. Da rund ein Drittel der Autofahrer auch durch diverse Info-Kampagnen nicht dazu zu bewegen waren, den Gurt auch zu benutzen, wurde Mitte 1984 schließlich ein Verwarngeld (40 DM) eingeführt, das Wirkung zu zeigte. Die Anschnallquote stieg rasch von 60 auf 90 Prozent.

Synchron mit Deutschland wurde übrigens auch in Österreich 1984 ein Bußgeld bei Verstoß gegen die Anschnallpflicht eingeführt.

Große Aversion gegen das Anschnallen

Welche Aversion die Autofahrer anfangs gegen die Verwendung von Sicherheitsgurten hegten, zeigt ein lesenswerter Spiegel-Artikel aus dem Jahre 1975.

Psychologen versuchten das Ganze damals so zu erklären: Mit dem Sicherheitsgurt würde alles Negative assoziiert, was ein Verkehrsunfall mit sich bringt. Ein Paradoxon, dass die Autofahrer damals nicht mit einem Gefühl der Angst fahren wollten – und genau deshalb die Verwendung des Sicherheitsgurtes verweigerten, der unbestritten wesentlich mehr Sicherheit brachte.

Andere Erklärungsversuche gingen von einer „Furcht vor der Fessel“ aus. Autofahrer (und Menschen im Allgemeinen) würden nur schwer damit fertig werden, sich selbst zu fesseln und sich wehrlos machen zu müssen, und gleichzeitig die Gefahren im Falle eines Unfalles bewältigen zu müssen.

Eine der Erfindungen mit dem größten Nutzen der letzten 100 Jahre

Bereits im Jahre 1985 erkannte aber u.a. das Deutsche Patentamt den großen Nutzen des Sicherheitsgurtes und wählte ihn unter die Top-8-Erfindungen der letzten Jahre, die den größten Nutzen für die Menschheit brachten. Damalige Beobachtungen ergaben außerdem, dass sich bei angelegten Sicherheitsgurten die Zahl der Verletzten um ca. 60%, die Zahl der Getöteten gar um 70% reduziert.

Stetige Verbesserungen des Sicherheitsgurtes

Gurtstraffer, Gurtkraftbegrenzer, variable Einstellungsmöglichkeiten auf die Schulterhöhe, automatische Aufrollung des Gurtes und damit verbunden mehr Beweglichkeit des Oberkörpers: Ab dem Jahr 2000 konnten hinsichtlich Komfort und Funktionalität noch weitere, erhebliche Fortschritte beim Sicherheitsgurt erzielt werden, die vermutlich zur zunehmenden Akzeptanz beitrugen.

Alle sieben Sekunden ein gerettetes Menschenleben

Unbestritten hat der Gurt unzähligen Autofahrern das Leben gerettet. Unfallforscher schätzen, dass der Sicherheitsgurt statistisch betrachtet alle sieben Sekunden das Leben eines Autofahrers rettet. Damit ist der Sicherheitsgurt nach wie vor unangefochtener Spitzenreiter in der Kategorie „Sicherheit“ – noch vor dem Airbag – und damit eine der größten Erfolgsgeschichten in der Geschichte der Automobilindustrie.