Peter Ruch
9 Gedanken zur Elektromobilität im Alltag

9 Gedanken zur Elektromobilität im Alltag

Auf der Fahrt von Bern nach Genf, im Renault Zoe, kommt es zu 9 Erkenntnissen die Elektromobilität betreffend. Und kommt man denn eigentlich wieder zurück?

radical mag
Zuletzt aktualisiert am 16.04.2017

Dass die Einsatzmöglichkeiten im reinen Strombetrieb für einen Plug-in-Hybrid beschränkt sind, ist irgendwie klar. Es wird eine theoretische Reichweite angegeben, will man weiter, dann kommt der Verbrennungsmotor zum Einsatz. Das macht durchaus Sinn, die durchschnittlich tägliche Fahrleistung von Herr und Frau Mustermann liegt deutlich unter dieser Reichweite, also sollte sich das Programm bestens abspulen lassen. Doch grau, mein werter Freund, ist alle Theorie – und grün des Lebens goldner Baum, sprich: in der Praxis sieht alles ganz anders aus. Auf fünf Kilometern Wegstrecke geht an einem kalten Morgen die Hälfte der Reichweite dahin – auch wenn man das Fahrpedal nur streichelt wie eine junge Katze. Vor allem aber: fährt man dann weiter ohne Strom, so etwa von Bern nach Zürich und zurück, dann steigt der Verbrauch an Benzin auf eine Höhe, die absurd wirkt – über 12 Liter waren es im Schnitt beim Volvo. Weil man halt schon auch noch einiges an totem Gewicht (Batterie!) spazieren fährt. Rechnet man solches auf gegen einen vernünftigen Diesel, dann rechnet sich so ein Plug-in-Hybrid eher nicht – und da geht es jetzt noch nicht einmal um den Anschaffungspreis.

9 Gedanken zur Elektromobilität im Alltag
© Bild: Peter Ruch
Volvo XC90 T8 Plug-in-Hybrid

1 – Die Kurzstrecke

Gut, es kommt auf den Verwendungszweck an. Rollt man nur so zehn Kilometer hin ins und zurück vom Büro, dann geht das alles mit Strom. Noch weniger verbrauchen würde dann aber, bei dieser Strecke, ein Fahrrad. Auch ein Spaziergang wäre gesünder. Und jede Fahrt ins Tessin, was halt mit dem Plug-in-Hybrid ja problemlos möglich ist, ruiniert ob des hohen Real-Verbrauchs die theoretisch so gute CO2-Bilanz dann wieder massiv.

2 – Die Reichweitenangst

Ins Tessin kommt man mit dem puren Elektriker Renault Zoe, theoretische Reichweite 400 Kilometer, hingegen eher nicht. Oder nur, wenn man wirklich viel Zeit hat. Er zeigt auch gar nie so etwas an, bei voller Ladung sind es knapp 300 Kilometer. Und auch die schafft er nur, wenn es dauernd abwärts geht, die Temperatur genau 21,72 Grad beträgt, der Luftdruck unter 1000 bar liegt und die Insassen zusammen nicht mehr als vier Kilo wiegen sowie auf Heizung, Entertainment, Scheibenwischer etc. verzichten. Das ist keine Kritik am Gefährt, beim besten Willen nicht, der Zoe macht vieles besser als die meisten anderen Elektro-Autos, aber die Reichweiten-Angst wird nicht kleiner, nur weil in der Theorie mehr Kilometer möglich wären.

3 – Selbsttest auf der Autobahn

«radical» hatte die Idee, erstmals einen Genfer Auto Salon so richtig umweltfreundlich bestreiten zu wollen. Vom Büro bis zum Palexpo-Gelände sind es 180 Kilometer, das sollte machbar sein. Nach 15 Stunden an der normalen Haushaltssteckdose war aber der «Tank» nicht voll, sondern erst bei rund 70 Prozent. (Ja, wir hätten da auch stärkeren Durchfluss – aber wir hatten halt nicht das passende Kabel.) Nun denn, dann halt noch auf der Raststätte Grauholz an den Schnelllader, ein Stündchen Kaffee und Kuchen. Genau 47 Kilometer mehr Reichweite kam in dieser Zeit zusammen. Aber das gab dann deutlich über 200 Kilometer, das musste zu schaffen sein – auch wenn das Navi meinte: no way. (Frage so nebenbei: wieso werden E-Auto-Navis nicht anders programmiert, warum haben sie auch einen Autobahn-Durchschnitt von 120 km/h?) Aber es ging, mit knapp 90 km/h hinter den Lastwagen her, trotz 4 Grad Außentemperatur keine Heizung, Scheibenwischer nur wenn nötig – und Fenster auf, wenn die Scheiben zu sehr beschlugen. Es waren sogar noch 20 km übrig dort im Palexpo, Schauplatz einer der wichtigsten Auto-Messen der Welt, größtes Messe-Gelände der Schweiz. Das einen ganz kleinen Haken hat, nämlich: keine Lade-Stationen für Elektro-Autos. In Zahlen: 0. (Müssen wir hier tatsächlich noch schreiben, wie unglaublich unsäglich solches ist? Wohl kaum.)

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© Bild: Peter Ruch

4 – Der Hauswart muss aushelfen

Nächste Lade-Station: wherever. Hat uns dann auch gar nicht mehr interessiert, ab ins Hotel, wo es zwar auch keine Lade-Station gab, der Hauswart es aber möglich machte, dass wir dann trotzdem noch Strom kriegten, um auch wieder nach Hause fahren zu können, eben, wieder 180 Kilometer zurück. Den Zoe ließen wir zwei Tage stehen, fuhren mit dem Bus zur Messe und zurück. Ärgerlich zwar, aber nicht die schlechteste Variante.

5 – Schlechte Planung?

Gut, da sagt der erfahrene E-Auto-Pilot dann: schlechte Planung. Man muss halt wissen, wo es Strom gibt, und wie, und überhaupt. Und überhaupt, heißt es dann auch noch von den E-Auto-Anbietern, seien ihre Fahrzeuge mehr so für die Stadt und allenfalls die Agglomeration gedacht, Kurzstrecke und so. Das mag sein. Aber: so wird sich das Stromauto dann doch eher nicht durchsetzen können. Es braucht zuerst einmal wirklich verlässliche Reichweitenangaben, es geht nicht, dass Renault seinen Zoe, zumindest unterschwellig, als 400-Kilometer-Auto anpreist, bei knapp über 200 Kilometern aber dann Ende ist (das ist ja auch bei Tesla nicht besser, dort ist die Reichweite allerdings tatsächlich höher; aus dem bernischen Hinterland nach Genf und wieder zurück würde aber auch der teure Amerikaner nicht schaffen). Außerdem: mittelfristig kann es ja nicht das Ziel sein, dass der eh schon überbordende Verkehr in den Städten sich einfach von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor zu elektrisch angetriebenen Fahrzeugen verlagert, damit wird das Verkehrsproblem ja nicht gelöst (und nein, wir wollen hier jetzt nicht auch noch auf die CO2-Bilanzen der jeweiligen Antriebe eingehen, das ist ja dann nochmals ein ganz anderes Thema).

6 – Die Infrastruktur

Hier geht es um eine andere Problematik: die Infrastruktur. Nein, es ist nicht so, dass es zu wenig Ladestationen geben würde, davon gibt es eigentlich schon reichlich, auf jeden Fall genug für die noch recht geringe Anzahl an Fahrzeugen, die etwas mit Strom anfangen können: eine ganz normale Steckdose findet man im Notfall auch überall. Doch das ist reine Theorie, das Problem ist, dass die Ladestationen nicht da sind, wo man sie brauchen wollte, also dort, wo man das E-Fahrzeug abstellt, wenn man es nicht braucht. Logisch, wenn dem Stromer daheim und bei der Arbeit eine Wallbox zur Verfügung steht, ist alles bestens, dann wird geladen, wenn der Wagen ruht. Aber wenn man sich bewegen will, was ja Sinn und Zweck eines Automobils ist, dann funktioniert das nicht. Es mag E-Autos geben, die in einer halben Stunde Ladezeit eine halbwegs vernünftige Reichweite erhalten, doch in der derzeitigen Praxis ist dem ja meist nicht so. Weil es länger dauert. Und weil die schnellsten Ladestation nicht dort ist, wo man sie brauchen könnte. Ich brauche das Ding nicht unbedingt auf der Autobahn-Raststätte, denn dort will ich keinen längeren Aufenthalt buchen. Und mehr als einmal McDonald pro Tag brauche ich auch nicht.

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© Bild: Peter Ruch

7 – Tanken in Kirgisistan

Wenn einem irgendwo in der kirgisischen Pampa das Benzin oder der Diesel knapp wird, dann fährt man zur nächsten Tankstelle, füllt wieder auf, nimmt vielleicht noch einen Kaffee, bezahlt – und nach 10 Minuten ist man wieder unterwegs. Das geht überall, immer; mit dem E-Auto geht das nicht. Auch mit einem Tesla nicht, denn auch mit einem Tesla steht man länger. Und häufig an Orten, an denen man nicht länger stehen will. Übrigens: schon mal mit Kindern unterwegs gewesen?

8 – Induktion und einheitliche Stecker

Die Versprechen der Industrie, das dereinst gewaltige Induktionsströme das E-Auto innert Minuten wieder aufladen werden, das sind nicht einmal Träume, sondern bloß Schäume – das wird in absehbarer Zeit nicht machbar sein. Und auch wenn, so muss man da immer noch heftigste Sicherheitsbedenken haben, es wären gewaltige Mengen von Strom, die da fließen müssten – die Katze, die sich unter den Wagen legen möchte, wäre gegrillt. Wir wären schon zufrieden, wenn sich die Industrie auf einheitliche Stecker einigen könnte, auch solches würde die Alltagstauglichkeit massiv erhöhen.

9 – Umdenken ja, aber mit Elektromobilität?

Nochmals: es ist alles machbar, man muss es einfach genau planen. Wissen, wo die Ladestationen sind, die Geschäftstermine zeitlich und auch örtlich so legen, dass man sein E-Auto auch immer schön «tanken» kann, genug Reichweite hat, um der Schwiegermutter vielleicht noch Blumen bringen zu können und das Paket abholen, das die Gattin bestellt hat. Aber: wer hat die Zeit dafür, wer will das dauernd machen? Und wenn man schon alles so genau durchdenken muss, warum nutzt man dann nicht gleich den öffentlichen Verkehr, ruft die Schwiegermutter an und lässt sich das Paket nach Hause liefern? Ja, wir müssen umdenken – aber wahrscheinlich ist die Elektromobilität auch dann nicht der richtige Weg.

Vielen Dank für diesen Beitrag an die Kollegen von radical-mag.com