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Ein langer Verkehrsstau auf einer Autobahn.

Wie ein Phantomstau entsteht und wie er verhindert werden kann

Wie ein „Stau aus dem Nichts“ entsteht, ob und wie sich ein solcher verhindern lässt: Der Überblick.

Christian Gaisböck
Zuletzt aktualisiert am 18.07.2024

Kein Unfall, keine Baustelle, kein anderes Hindernis auf der Fahrbahn – und trotzdem staut es? Ein solcher „Stau aus dem Nichts“, auch als „Phantomstau“ bezeichnet, entsteht zwar ohne erkennbares Hindernis und somit gefühlt „aus dem Nichts“. Naturgemäß gibt es dennoch Ursachen, die allerdings nicht auf den ersten Blick erkennbar und deshalb auch ein interessantes Forschungsfeld sind.

Was ist ein Phantomstau?

Ein Phantomstau, auch bekannt als Stau aus dem Nichts, bezeichnet eine Verkehrssituation, bei der der Verkehr scheinbar ohne erkennbaren Grund ins Stocken gerät. Solche Staus entstehen nicht durch Unfälle, Baustellen oder andere offensichtliche Hindernisse, sondern durch kollektive Fahrverhaltensmuster, die eine Kettenreaktion auslösen.

Solch instabile Zustände des Verkehrsflusses, die schon durch geringfügige Schwankungen in der Fahrgeschwindigkeit verursacht werden können, führen zu Bremsmanövern, die sich wellenförmig durch den Verkehr ausbreiten und letztlich zum Stillstand führen können.

Phantomstau: Die physikalischen Grundlagen

Phantomstaus basieren auf den Prinzipien der Verkehrsdynamik, einer Unterdisziplin der Physik, die sich mit der Bewegung von Fahrzeugen auf Straßen beschäftigt. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Konzepte der Verkehrsdichte und -geschwindigkeit. Laut der Arbeit von Matthias Eduard Primas entsteht ein Phantomstau, wenn die Verkehrsdichte einen kritischen Punkt erreicht, an dem kleine Störungen, wie plötzliches Abbremsen oder zu dichtes Auffahren, eine Kettenreaktion auslösen.

Das Verhalten einzelner Fahrer spielt hierbei eine entscheidende Rolle: Wenn ein Fahrer abrupt bremst, müssen nachfolgende Fahrzeuge ebenfalls bremsen. Dieser Effekt verstärkt sich nach hinten, da jedes Fahrzeug etwas stärker abbremsen muss als das davor, um einen Sicherheitsabstand zu wahren. Dies führt zu einem Wellenphänomen, das sich als Stau bemerkbar macht, obwohl kein physisches Hindernis vorhanden ist.

Menschliches Verhalten

Die Entstehung von Phantomstaus ist u.a. mit der Reaktionszeit der Autofahrer verbunden. Bei einer Reaktionszeit von etwa einer Sekunde legt ein Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h etwa 28 Meter zurück. (Berechnung: 100 / 3,6). Schon kleine Verzögerungen bei der Reaktion können somit erhebliche Auswirkungen haben. Ein weiterer Aspekt ist, dass Autofahrer oft abwechselnd zu schnell und zu langsam fahren, was zu einem periodischen Aufstauen und Entladen des Verkehrsflusses führt. Die Tendenz einiger Lenker, dicht aufzufahren, verstärkt diesen Effekt zusätzlich bzw. wird damit die Wahrscheinlichkeit von plötzlichen Bremsmanövern erhöht.

Wie kann ein Phantomstau verhindert werden?

Ausgehend von den theoretischen Erkenntnissen ist ein möglichst gleichmäßiger Verkehrsfluss wichtig, um einen „Stau aus dem Nichts“ vermeiden zu können. Einerseits können individuelle Verhaltensänderungen dazu beitragen: Einhalten eines ausreichenden Sicherheitsabstandes, rechtzeitiges Abbremsen (Stichwort „vorausschauendes Fahren“), aber auch rechtzeitiges Anfahren. Insgesamt soll versucht werden, möglichst „gleichmäßig“ zu fahren.

Aber auch die Umsetzung von Verkehrssteuerungssysteme, die eine dynamische Anpassung der Geschwindigkeit ermöglichen, können den Verkehrsfluss besser aufrecht erhalten

Ein weiteres wirksames Mittel ist die Verwendung von Fahrerassistenzsystemen, wie adaptive Geschwindigkeitsregelanlagen (ACC). Diese Systeme können den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug automatisch anpassen und so plötzliche Bremsmanöver vermeiden. Der Einsatz solcher Technologien reduziert die Wahrscheinlichkeit von Phantomstaus signifikant. Interessant kann in diesem Zusammenhang auch ein Zusammenspiel aus ACC-System und Car-to-Car Communication sein. Damit könnte die Fortbewegung einer Autokolonne in „Zugform“ noch effizienter und sicherer vor sich gehen. Noch einen Schritt weiter könnte uns „Connected Driving“ bringen, bei dem Fahrzeuge und Infrastruktur miteinander vernetzt sind. Diese Vernetzung würde eine optimale Verkehrssteuerung ermöglichen und menschliche Fehler zu einem guten Teil ausgleichen.

Fazit

Phantomstaus sind ein komplexes Phänomen, das durch eine Kombination physikalischer, psychologischer und verkehrstechnischer Faktoren entsteht. Das Verständnis dieser Mechanismen ist entscheidend, um wirksame Maßnahmen zur Vermeidung zu entwickeln.

Zwar kann jeder einzelne Autofahrer einen Teil dazu beitragen, den Verkehrsfluss aufrechtzuerhalten. Allerdings reichen bereits wenige Verkehrsteilnehmer bzw. deren Fehlverhalten aus, um einen Stau zu verursachen. Durch den Einsatz von Technologien wie adaptive Tempolimits, Fahrerassistenzsysteme und die zukünftige Integration autonomer Fahrzeuge kann der Verkehrsfluss optimiert und die Häufigkeit von Phantomstaus reduziert werden.