SSC North America
460,4 km/h Spitze: Die Rekordjagd des SSC Tuatara

460,4 km/h Spitze: Die Rekordjagd des SSC Tuatara

Neues Kapitel im High-Speed-Krimi: Nach dem umstrittenen Rekordversuch im Oktober 2020 beansprucht SSC North America erneut den Titel „schnellstes Serienfahrzeug der Welt“ für sein Hypercar Tuatara. Dieses Mal hat es aber „nur“ für 460,4 km/h Spitze (455,3 km/h im Schnitt) gereicht.

Zuletzt aktualisiert am 01.02.2021

Update: Erneuter Rekordversuch mit 455,3 km/h / 460,4 km/h Spitze

Nachdem SSC North America im Oktober 2020 bekannt gegeben hatte, mit dem SSC Tuatara einen neuen Geschwindigkeitsrekord für Serienautos aufgestellt zu haben, wurden rasch Zweifel laut. Kritische Analysen des Videos, das den angeblichen Rekordlauf in der Wüste Nevadas zeigen sollte, rückten diverse Unstimmigkeiten in den Fokus der Aufmerksamkeit: Die Aufnahmen waren bei näherer Betrachtung nicht mit den kommunizierten Daten – bei zwei Läufen in entgegengesetzter Richtung soll eine durchschnittliche Höchstgeschwindigkeit von 508,73 km/h erreicht worden sein – in Einklang zu bringen.

Schließlich räumte Firmengründer Jerod Shelby selbst ein, dass bei der Dokumentation des vermeintlichen Weltrekords gravierende Fehler unterlaufen seien und man den Rekordversuch wiederholen wolle. Nach einem gescheiterten Versuch im Dezember soll der angestrebte Geschwindigkeitsrekord für Serienfahrzeuge am 17. Jänner 2021 tatsächlich erreicht worden sein – und dieses Mal hat SSC auch die entsprechende Validierung im Gepäck.

460,4 km/h Spitze: Die Rekordjagd des SSC Tuatara
© Bild: SSC North America

455,3 km/h Durchschnitt, 460 km/h Spitze

An die im Vorjahr angeblich erreichten 532,93 km/h Spitze konnte man sich beim neuerlichen Rekordversuch zwar nicht annähern. Auf einer Landebahn des John F. Kennedy Space Centers im US-Bundesstaat Florida soll das 1.774 PS starke Hypercar SSC Tuatara mit seinem Besitzer Larry Caplin hinterm Steuer aber immerhin eine durchschnittliche Höchstgeschwindigkeit von 282,9 mph (455,3 km/h) erreicht haben. Das bestätigt auch das mit der Geschwindigkeitsmessung betraute Unternehmen Racelogic USA. Beim Lauf Richtung Norden betrug der Top-Speed demnach 279,7 mph (450,1 km/h), beim zweiten Lauf in Richtung Süden wurden gar 286,1 mph (460,4 km/h) gemessen. Für Geschwindigkeitsrekorde wird zwei Mal in entgegengesetzte Richtungen gefahren, um den Einfluss von Faktoren wie Wind, Gefälle etc. auszugleichen.

Die von Racelogics technischem Direktor unterzeichnete Bestätigung lieferte SSC dieses Mal gleich mit der Pressemeldung mit. Wie vereinbart, wohnte dem erneuten Rekordversuch auch der reichweitenstarke YouTuber Robert Mitchell bei, der die Debatte im vergangenen Oktober mit ausgelöst hatte.

Ein würdiger Weltrekord?

Den Geschwindigkeitsrekord des Koenigsegg Agera RS aus dem Jahr 2017 – 446,97 km/h – ließ der SSC Tuatara damit deutlich hinter sich. Trotzdem bleibt die Frage: Genügen 455,3 km/h, um den Titel „schnellstes Serienfahrzeug der Welt“ mit Stolz zu tragen? Immerhin hatte Bugatti bereits 2019 eine TÜV-zertifizierte Spitzengeschwindigkeit von 490,484 km/h (304,773 mph) erreicht – allerdings nur in eine Richtung. Für Geschwindigkeitsrekorde wird aber üblicherweise der Durchschnitt aus zwei Läufen in die jeweils entgegengesetzte Richtung berechnet. Zudem ist der Begriff „Serienfahrzeug“ durchaus dehnbar – Bugatti etwa hatte die 490,484 km/h mit einem Vorserienfahrzeug des auf 30 Exemplare limitierten Chiron Super Sport 300+ erreicht. Mit der Frage, wie man einen „echten“ Geschwindigkeitsrekord für Serienfahrzeuge definieren kann, beschäftigen sich Misha Charoudin und Robert Mitchell in diesem Video:

Fest steht: Die Jagd nach neuen Superlativen ist noch lange nicht abgeschlossen. SSC bemüht sich wohl auch als vorläufiger Rekordhalter weiter, das bereits bei der Entwicklung des Tuatara gesetzte Ziel – die 300-mph-Marke – tatsächlich zu erreichen (und glaubhaft zu dokumentieren).


Rückblick: Der vermeintliche Weltrekord 2020

Für alle, die es im Vorjahr nicht mitbekommen haben, lassen wir die Ereignisse rund um den umstrittenen Rekordversuch noch einmal Revue passieren: Im Oktober 2020 hatte der hierzulande noch eher unbekannte Hersteller SSC Tuatara bekannt gegeben, dass Rennfahrer Oliver Webb mit dem bis zu 1.774 PS starken SSC Tuatara durchschnittlich 508,73 km/h bei zwei Läufen in entgegengesetzter Richtung erzielt habe – ein neuer Geschwindigkeitsrekord für Serienautos. Bei einem der beiden Läufe, aus denen der Durchschnitt berechnet wurde, sei gar ein Top-Speed von 532,93 km/h erreicht worden.

460,4 km/h Spitze: Die Rekordjagd des SSC Tuatara
© Bild: SSC North America
https://www.youtube.com/watch?v=X0dnQz126cE

SSC Tuatara auf Rekordjagd in der Wüste

Für den Welterkordversuch wählten die US-Amerikaner einen sieben Meilen langen Abschnitt der State Route 160 nahe Pahrump in Nevada, wo bereits Koenigsegg im Jahr 2017 den damaligen Geschwindigkeitsrekord für Serienfahrzeuge aufgestellt hatte. Die Geschwindigkeiten wurden mit einem zertifizierten GPS-System gemessen. Abgesehen vom angestrebten Rekord will SSC noch drei weitere eingefahren haben:

  • Die schnellste „fliegende Meile“ auf einer öffentlichen Straße (503,92 km/h)
  • Der schnellste „fliegende Kilometer“ auf einer öffentlichen Straße (517,16 km/h)
  • Die höchste Geschwindigkeit auf einer öffentlichen Straße (532.93 km/h)
460,4 km/h Spitze: Die Rekordjagd des SSC Tuatara
© Bild: SSC North America

Die Kontroverse

Bereits kurz nach der Veröffentlichung dieser Zahlen stellten mehrere reichweitenstarke YouTuber die vermeintlichen Rekorde in Frage – und lieferten auch die entsprechenden Argumente. Als Basis für die kritischen Analysen diente ein von Top Gear veröffentlichtes Video, das die vermeintlichen Rekordläufe in der Wüste Nevadas mit bis zu 532,93 km/h zeigen sollte. Für Verwunderung sorgte dabei vor allem der Abgleich der zurückgelegten Strecke mit den GPS-Daten, die offensichtlich nicht übereinstimmen. Detaillierte Analysen des fraglichen Videos veröffentlichten etwa die YouTuber Misha Charoudin und Shmee150:

Statement von SSC-Grüner Jerod Shelby

In einer ersten Reaktion verteidigte SSC North America den Weltrekord noch: die kommunizierten Zeiten stimmten, lediglich das Video sei nicht akkurat. Am 30. Oktober veröffentlichte SSC North America schließlich ein Video-Statement, in dem Firmengründer Jerod Shelby einräumt, dass bei der Dokumentation des vermeintlichen Weltrekords gravierende Fehler unterlaufen seien.

So sei das Unternehmen selbst gar nicht im Besitz des gesamten Videomaterials gewesen, das im Rahmen des Rekordversuchs aufgezeichnet wurde. Bei der Sichtung verschiedener Aufzeichnungen seien dann auch bei SSC selbst Zweifel aufgetaucht. „Wir haben verschiedene Geschwindigkeiten für den selben Lauf gesehen. Je mehr wir gesehen haben, und je mehr wir versucht haben zu analysieren, umso größer wurden die Zweifel bezüglich der Relation zwischen Video und GPS-Daten“, so Shelby. Trotz aller Versuche sei es ihm und seinen Mitarbeitern nicht gelungen, alle Unklarheiten zu beseitigen. „Den perfekten Eindruck, den ich von dem Rekord hatte, ist jetzt verschwunden. Und egal, was wir in den kommenden Tagen unternehmen werden, um diesen Rekord zu retten, wird immer ein Makel zurückbleiben.“ Daher habe man sich dazu entschieden, den Weltrekordversuch zu wiederholen. Um erneute Fehler zu vermeiden, wolle man mit GPS-Systemen verschiedener Hersteller arbeiten und die gemessenen Geschwindigkeiten vor Ort von deren Vertretern analysieren lassen. Zudem lud Shelby seine populärsten Kritiker – die YouTuber Misha Charoudin, Shmee150 und Robert Mitchell -dazu ein, beim nächsten Rekordversuch persönlich anwesend zu sein und SSC über die Schulter zu schauen.


Der SSC Tuatara: 1.774 PS, 1,3 Millionen Dollar

Für SSC North America wären das nicht die ersten Geschwindigkeitsrekorde gewesen. Bereits im Jahr 2007 lief der Ultimate Aero TT dem Bugatti Veyron 16.4 mit 412 km/h den Rang als schnellstes Straßenfahrzeug ab.

Der SSC Tuatara wurde eigens dafür entwickelt, die 300-mph-Marke zu knacken – eigentlich hätte er das schon vor dem Bugatti Chiron tun sollen. Bis zu 1.774 PS leistet der 5,9 Liter große Biturbo-V8, den Nelson Racing Engines für SSC North America baut, mit E-85-Kraftstoff. Wird Benzin mit 91 Oktan getankt, springen immer noch beachtliche 1.369 PS hinaus. Dabei wiegt das Hypercar gerade einmal 1.247 Kilo. Chassis und Karosserie bestehen aus Kohlefaserlaminat, ebenso wie die Felgen.

460,4 km/h Spitze: Die Rekordjagd des SSC Tuatara
© Bild: SSC North America

Das Design des Wagens, der nach einer neuseeländischen Echse benannt wurde, entstammt dem ehemaligen Bertone- und Saab-Designer Jason Castriota. 100 Exemplare des SSC Tuatara werden gebaut, Interessenten sollten 1,3 Millionen US-Dollar bereithalten.

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© Bild: SSC North America

Geschwindigkeitsrekorde von Bugatti und Koenigsegg im Rückspiegel

Im Rennen um den Titel „schnellstes Serienauto der Welt“ haben sich in den vergangenen Jahren Bugatti und Koenigsegg einen Schlagabtausch geliefert. Die wichtigsten Eckpunkte im Rückblick:

  • Im September 2017 ließen die Franzosen mit einer beeindruckenden Bestzeit aufhorchen: Der Chiron hatte einen Lauf von o auf 400 und wieder zurück auf 0 km/h in 41,96 Sekunden absolviert und damit den Weltrekord für dieses Manöver eingefahren.
  • Die Freude darüber sollte allerdings nicht lange währen, denn bereits im Oktober 2017 gab Koenigsegg bekannt, Bugattis Zeit mit einem Kundenfahrzeug – einem 1360 PS starken Agera RS – gleich um fünf Sekunden unterboten zu haben.
  • Bei einem weiteren Versuch im November 2017 legten die Schweden noch einen drauf und absolvierten das Manöver, das den Bugatti 41,96 Sekunden gekostet hatte, in gerade einmal 33,29 Sekunden.
  • Ganz nebenbei hatte der Koenigsegg inmitten der Wüste Nevadas Ende 2017 noch ein paar weitere Rekorde aufgestellt, darunter jenen für die höchste Geschwindigkeit auf einer öffentlichen Straße (457.49 km/h) sowie den schnellsten “fliegenden”, also mit maximaler Geschwindigkeit gefahrenen, Kilometer auf einer öffentlichen Straße (445.54 km/h). Mit einem durchschnittlichen Top-Speed von 446.97 km/h (berechnet aus zwei Läufen in entgegengesetzter Richtung, um den Einfluss von Faktoren wie Wind, Gefälle etc. zu eliminieren) war der Agera RS außerdem schneller als jedes Serienfahrzeug mit Straßenzulassung vor ihm – eine Errungenschaft, um die sich in weiterer Folge wiederum Bugatti mit einem Prototypen bzw. Sondermodell des Chiron bemühte.
  • Mit einem “Vorserienfahrzeug eines Chiron-Derivats”, wie der Wagen in einer Aussendung bezeichnet wurde, erreichte Le-Mans-Gewinner und Bugatti-Testfahrer Andy Wallace am 2. August 2019 eine Spitzengeschwindigkeit von 490,484 km/h (304,773 mph) und stellte damit einen neuen TÜV-zertifizierten Geschwindigkeitsrekord für Autohersteller auf. Nachträglich wurde bekannt gegeben, dass ebenjener Chiron mit einer 30 Exemplare umfassenden Kleinstserie geadelt wird – und damit den Titel „schnellstes Serienfahrzeug der Welt“ verdient hätte. Allerdings wurde die Geschwindigkeit nur aus einem und nicht aus zwei Läufen in entgegengesetzter Richtung berechnet, weshalb die Legitimität des Rekords umstritten blieb. Nach dem 300 mph-Lauf kündigte Bugatti an, sich aus der Jagd nach neuen Geschwindigkeitsrekorden für Serienfahrzeuge zurückzuziehen. 
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