Das Unwichtigste, was ein Elektroauto kann, ist hier als Modellbezeichnung aufs Heck geschrieben in silbernen Lettern: 3.8S. Sonst ist aber fast alles ernst gemeint hier.
Im ersten Seal-Test vergangenen Oktober sprachen wir noch von einem letzten Aufleuchten unfreiwilligen chinesischen Humors („Torture Vectoring“), doch zum Glück irrten wir hierin. Es war nicht das letzte Aufleuchten. Auch der aktuelle Testwagen hat uns diesbezüglich große Freude bereitet, etwa, als er uns die Reservierungsladefunktion des Autos schmackhaft machen wollte: „Warmer tipp“. Im Klimamenü wiederum kann man die Funktion „Intelligente Luft“ aktivieren, was wir aber aus Angst, vom Beifahrer im Vergleich mit der Luft als geistig begrenzt erkannt zu werden, unterließen. Stattdessen genossen wir den „Luftvorhang vorne (Seite)“.
Wahrscheinlich ist eh an allem die KI schuld, die den Vorzug hat, generell zur Stelle zu sein, wenn wo Blödsinn versprüht wird.
Der Seal also, eine der Speerspitzen der chinesischen Wirtschaftsmacht in ihrem Bestreben, sich sichtbar nach dem Westen auszudehnen. Unsichtbar ist sie längst da.
Sichtbar ist der Seal, und zwar auf gefällige Weise. 4,8 Meter lang, 2,2 Tonnen schwer und dennoch von der Gestalt eines Marathonläufers, also schlank und sehnig. So ist auch seine Außenwirkung gemeint, unmissverständlich gegen Tesla gerichtet und gegen den BMW i4.
Wenn wir schon dabei sind: Der i4 beginnt bei 52.000 Euro. Dafür gibt es maximal 286 PS, Heckantrieb, sechs Sekunden auf hundert, eine maximale Ladeleistung von 205 kW sowie die Tatsache, dass er ein BMW ist – und sich auch so anfühlt.
Im Vergleich dazu boostet der Seal um 1000 Euro weniger mit maximal 530 PS (also nicht ganz dem Doppelten), Allradantrieb, 3,8 Sekunden auf hundert, einer maximalen Ladeleistung von 150 kW, einer modernen Blade-Batterie. Und, nicht ganz unwichtig: Bei der Ausstattung liegen Welten zwischen den beiden. Im BYD serienmäßig und im BMW nicht: Head-up-Display, Fahrassistenzsysteme vom adaptiven Tempomaten aufwärts, Metallic, Leder und leider auch das Zwangspanoramaglasdach.
Aber er ist eben kein BMW-Imageträger und fühlt sich auch nicht als solcher an, obwohl man bei BYD vieles unternommen hat, um zu verhindern, dass Letzteres gesagt werden kann: sehr reelle Materialien, gute Verarbeitung, ambitioniertes Design und entgegenkommende Gestaltung.
Aber dann merkt man zumal im Fahrverhalten doch Unterschiede, das BYD-Fahrwerk ist leicht poltrig und nicht ganz so souverän in der kreativen Unebenheitsbewältigung, wie man es erwarten würde.
Aber das sind Feinheiten, die autoaffinen, kritischen Geistern auffallen mögen. Im Alltag der diesbezüglich nicht so kapriziösen Masse zählt etwa der riesige Tesla-Bildschirm in der Mitte, der per Icondruck gedreht werden kann und der doch immer zu groß ist, um hübsch ins Auto zu passen. Aus der Größe folgt freilich auch, dass man sich auf ihm gut bewegen kann, keine fiepsig-kleinen Icons, sondern ordentliche … Tasten, hätten wir fast gesagt.
Manche Funktionen sind zu tief in den Menüs vergraben, und so kann sich die eigentlich seltsame Situation ergeben, dass man zu faul ist, die Sitzheizung einzuschalten. Apropos Heizung: Wie bei vielen Elektroautos ist sie auch hier etwas zurückhaltend, und zuweilen hat man erst bei eingestellten 27 Grad angenehme Temperatur.
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