Unterhaltskosten, höher als beim Porsche 356

Nur wenige Stunden brauchte der damalige VW-Chef um zu entscheiden, dass der VW Karmann Ghia produziert wird. Sein Design im Prototypstadium war derart überzeugend.

radical mag
Zuletzt aktualisiert am 29.03.2021

Wobei, ganz so einfach war es doch nicht. Der Wagen, intern Typ 14 genannt, war eine Idee von Wilhelm Karmann. 1951 sprach er zum ersten Mal mit VW-Chef Nordhoff über die Möglichkeit, ein Sport-Coupé auf Basis des VW Käfer zu produzieren. Die ersten Entwürfe konnten aber die VW-Führung nicht begeistern. Doch dann kommt Luigi Segre ins Spiel. Segre arbeitete damals bei Carrozzeria Ghia in Turin – und seine Entwürfe überzeugten Karmann auf Anhieb. Und, wie schon erwähnt, auch Nordhoff.

Traumsportwagen VW Karmann Ghia

Karmann richtet in Osnabrück ein Montageband ein, am 14. Juli 1955 wird das Fahrzeug der Presse vorgestellt. Die ist jedoch anfangs nicht so sehr begeistert: «Eine Parodie eines schnellen Autos» nennt «auto, motor und sport» den Wagen. Und ganz günstig ist das Vergnügen auch nicht: 7.500 DM kostet das von einem 30 PS starken, luftgekühlten Vier-Zylinder angetriebene Coupé, das war eine Menge Geld in jenen Jahren. Doch schon 1956 konnte das 10.000ste Exemplar gefeiert werden. Das Publikum liebte den Karmann Ghia, er war so etwas wie der Traumsportwagen für den «kleinen Mann». Ab 1957 gab es auch ein Cabrio. Bis 1974 liefen insgesamt 443.478 Stück (Coupés und Cabrios) vom Band. Wohl mehr als jedes andere deutsche Automobil ist der Karmann Ghia Symbol für das aufstrebende Deutschland geworden. Von einem Mercedes 300 SL oder einem BMW 507 träumte man gerne, doch den Karmann Ghia, in Deutschland gerne als «Dschia» ausgesprochen, den konnte man sich irgendwann auch leisten.

VW Karmann Ghia Typ 34 (7)
© Bild: Peter Ruch

Da geht doch noch mehr

Doch da lag noch mehr drin, dachte sich vor allem Wilhelm Karmann. Er traf Luigi Segre 1959 auf dem Genfer Automobilsalon, und man wollte gemeinsam ein Projekt für einen größeren Karmann Ghia in Angriff nehmen. Mit VW-Chef Nordhoff hatte Karmann sich auch schon abgesprochen, und der hatte verlangt, dass der Wagen 1961 auf den Markt kommen musste. Es blieben also noch rund 15 Monate, um ein komplett neues Fahrzeug aus dem Boden zu stampfen, und das unter einigermaßen schwierigen Vorzeichen, denn der VW 1500, auf dem das neue Auto basieren sollte, war noch nicht serienreif. Segre telefonierte mit Sergio Sartorelli, dem für Konzeptzeichnungen zuständigen Chefentwickler bei Ghia, nannte ihm die Vorgaben und bat ihn, mit einigen Entwürfen nach Genf zu kommen. Schon drei Tag später stand Sartorelli in Genf, anscheinend mit vier Entwürfen, von denen Segre gleich einen auswählte. Und noch am gleichen Tag soll sich Karmann entschieden haben, auf dieser Basis weiterzuarbeiten. Bei Ghia übergab Sartorelli das Projekt an den jungen Designer Tom Tjaarda.

Schnelle Entscheidung

Anfang 1960 stellte Karmann Volkswagen zwei Prototypen vor die Tür, und die Entscheidung war schnell gefällt. Aber so richtig schnell ging es dann doch nicht vorwärts. Am Sartorelli-Entwurf mussten einige Retuschen gemacht werden, vor allem die Heckpartie wurde vereinfacht. Und bis klar war, wie die zwei Leuchten vorne angeordnet werden sollten, gab es anscheinend auch rege Diskussionen. Als der 1500er endlich bereit stand, wurde der Prototyp vom vorherigen Käfer- auf das neue Chassis gestülpt, was weitere Anpassungen nötig machte. Wie angeregt die Diskussionen zwischen Osnabrück und Wolfsburg gewesen sein müssen, zeigen die vielen Design-Varianten, die Karmann 1960 und 1961 jeweils komplett aufbaute.

VW Karmann Ghia Typ 34 (4)
© Bild: Peter Ruch

VW Karmann Ghia Typ 34 feiert Premiere auf der IAA 1961

Im September 1961 war es dann soweit, auf der IAA in Frankfurt. Während VW Limousine, Cabrio und Kombi des 1500er als Weltpremieren vorstellte, stand auf dem Stand von Karmann der so genannte Typ 34. Und auch den gab es – auf einer Drehscheibe – zusätzlich als Cabrio zu bewundern, perlweiß lackiert. Doch offiziell wurden weder das Karmann- noch das VW-Cabrio je in Serie produziert. Man geht davon aus, dass es vom 1500er-Cabrio etwa 20 Stück für Fahrversuche gab. Einige wenige Exemplare kamen auch in Kundenhand. Auch das Karmann-Cabrio schaffte es nie in Serie, doch auch hier geht man davon aus, dass wahrscheinlich 12 Stück gebaut wurden.

Von 0 auf 100 in zweiundzwanzig Komma fünf Sekunden

Angetrieben wurde der Typ 34 vom damals neuen 1,5-Liter-Boxer, der es auf ziemlich müde 45 PS brachte. So sah der Karmann Ghia zwar sehr flott aus, doch er brauchte 22,5 Sekunden, um von 0 auf 100 km/h zu beschleunigen. 1962 wurde die Leistung auf 54 PS erhöht, 1965 gab es mehr Hubraum, aber gleich viele Pferde. Und auch eine Automatik-Version, die aber dann wirklich kaum mehr vom Fleck kam. Insgesamt wurden 42.505 Stück des Karmann Ghia Typ 34 gebaut – und viele davon gingen an weibliche Kunden. Der in Nachkriegs-Deutschland reich gewordene Herr Gemahl fuhr einen schweren Benz, die Dame seines Herzen – und das musste ja nicht unbedingt die Gemahlin sein – den schicken VW.

VW Karmann Ghia Typ 34 (10)
© Bild: Peter Ruch

Hier werden die Gänge noch sortiert

Das wunderschöne Foto-Modell für diese Seiten stammt aus der beeindruckenden Sammlung des Schweizerischen Volkswagen-Importeurs, der AMAG. Wir haben es ausführlich bewegen dürfen – und erfuhren wieder einmal, wie viel Freude so ein Gefährt doch machen kann. Nein, wie die sprichwörtliche Sau geht er nicht ab, der Karmann Ghia Typ 34. Doch es reicht alleweil, um auf der Landstraße – gefühlsmäßig – ganz schön flott unterwegs zu sein. Man fährt dann zwar nur 80 km/h, aber man arbeitet intensiver am Lenkrad als in einem neuen Porsche bei 200 km/h. Allein schon das Sortieren der Gänge braucht etwas Zeit. Das Getriebe stammt noch aus einer Zeit, in der bei Volkswagen noch nicht der Perfektionierungswahn Einzug gehalten hatte. Auch die Lenkung ist jetzt nicht das, was man als ausgesprochen präzis bezeichnen würde.

Aber dann ist da dieser Sound im Rücken

Das ganz typische Käfer-Klappern des luftgekühlten Boxers, das auch beim 1,6-Liter für Hühnerhaut sorgt. Tritt man etwas beherzter aufs Gaspedal, wird der «Dschia» nicht etwa schneller, sondern zuerst einmal vor allem lauter; das nennt man dann eine flache Drehmoment-Kurve. Aber es ist ja vielleicht auch besser so, denn so zaghaft wie der VW beschleunigt, so wenig bremst er dann auch ab, wenn man auf das benachbarte Pedal tritt. Doch das Leben besteht ja schließlich nicht nur aus Beschleunigungsorgien – man sitzt dann halt einfach so in diesem zwar simplen, aber gerade deshalb auch schönen Interieur auf viel zu weichen, rutschigen Sitzen, und ein Lächeln umspielt die Lippen, und man würde gerne ein Lied pfeifen, doch das hört man selber kaum, weil der Motor so laut ist. Und dann steigt man vor einem netten Restaurant aus, geht zwei, vielleicht auch drei Mal um den Wagen herum, sieht die schönen Details, die Spiegelungen des Lichts, geht etwas weiter weg, und hat einfach nur Freude an der klassischen Schönheit dieses Wagens.

VW Karmann Ghia Typ 34 (8)
© Bild: Peter Ruch

Unterhaltskosten, höher als beim Porsche 356

Heute sind diese Fahrzeuge ausgesprochen selten geworden. Was auch daran liegt, dass die Ersatzteil-Beschaffung für die Karosse sehr schwierig ist. Rost hat manch einen Typ 34 ermordet, denn er hatte viele Schwachstellen, die den Rostfraß begünstigen. So sind etwa die Kotflügel angeschweißt und nicht verschraubt. Ein brauchbarer Kotflügel kostet dann über 2.000 Euro. Ein Blinkerpaar bis 1.000 Euro. Eine einzelne Leuchte hinten 500 Euro. In Insiderkreisen heißt es, der Unterhalt für einen Karmann Ghia Typ 34 sei höher als bei einem Porsche 356, und schon der gilt nicht unbedingt als Sonderangebot.

Karmann gibt es leider nicht mehr

Gegründet 1901 von Wilhelm Karmann Senior und ab den 50er-Jahren geführt von Wilhelm Karmann junior, überlebte die Osnabrücker Firma die letzte ihrer vielen Krisen nicht und wurde ab 2009 schrittweise in den Volkswagen-Konzern eingegliedert. Heute heißt das Unternehmen Volkswagen Osnabrück GmbH und fertigt das Golf Cabrio. Nein, dieser Kommentar war jetzt nicht wertend. Höchstens: so ein bisschen.

Besten Dank für diesen Beitrag an die Kollegen von radical-classics.com