24 Stunden vom Nordring (2012): Rust Never Sleeps

In diesen Stunden findet die erste Ausgabe der 24 Stunden vom Nordring 2017 statt. Was es heißt, hier mitzumachen, haben wir 2012 am erleben dürfen. Kommt vorbei, bis morgen, 20.5., um 16:00 wird gefahren.

David Staretz
autorevue Magazin
Zuletzt aktualisiert am 19.05.2017

Ein Artikel aus der Autorevue 7/2012.

Das nordwestliche Straßendorf Fuglau hat zwei Abbiegungen. Eine führt zum Nord­ring. Auf der anderen befand ich mich versehentlich; sie mündete in einen Feldweg. Kennt Ihr das Bellen von Rehböcken in der Nacht? Es gehört zu den unheimlicheren Klängen des Waldes. Tapfer lauschte ich tiefer hinein. Wer auf dem Lande aufgewachsen ist, hat ein untrügliches Ohr für Autorennen in nachbarlichen Tälern. Ich schloss das Fenster und wendete den ­Wagen.

Denn in all der wilden unbedarften Direktheit steckt der Zauber des erschwinglichen Anfangs und damit die Chance, alles richtig zu machen.

Das Rennen war seit sechs Stunden im Gange, doch der Anblick war auf Anhieb so vertraut und willkommen wie damals, als ich mein erstes Autocross am sogenannten Totenhauer sah: dieser aufrei­bende Klang gepeinigter Motoren. Das dumpfe Hinpumpern aller möglichen ­Bodengruppen auf Sand und Stein. Der gold­far­bene Staub, der über zerschundenen Karosserieblechen steht wie geweihte Luft. Die blitzenden Reflexe von Glasscheiben im letzten Licht der Abendsonne. Erdfontänen, die unter den gewalkten Gummis durchdrehender Räder hervorgefeuert werden. Ich liebe das, denn in all der wilden unbedarften Direktheit steckt der Zauber des erschwinglichen Anfangs und damit die Chance, alles richtig zu machen.

24 Stunden vom Nordring (2012): Rust Never Sleeps
© Bild: Martin Datzinger
Morning is golden.

Nötige Beigaben waren gering an Zahl und Geldeswert. Ab hundert Euro für ein fahrbares Schrottauto bist du dabei, lautete die Ansage der Veranstalter, plus siebzig Euro Nenngeld. Bloß keine Domstreben, Rennfelgen, Carterschutzbleche und so weiter. Gewertet wurden nicht die Runden, sondern der Tachostand, bitte von den Teams selbst regelmäßig auf die große Wand einzutragen. Fairness siegt. Der Rest ist Begeisterung, Teamgeist, Wagenheber und Schweißgerät, ein paar Arbeitshandschuhe und eine gewisse Gelassenheit, mit der man ein auf 24 Stunden getaktetes Rennen angehen sollte.

Zum Beispiel sollte man nicht beim Le-Mans-Start lossprinten, nur weil jemand (und wir wissen, wer es war) durch den Haberkorn-Trichter „LOS!“ gerufen hat. Ergebnis: Das halbe Starterfeld rannte los, die anderen konnten durch den Verkehr nicht mehr zu ihren Autos.

24 Stunden vom Nordring (2012): Rust Never Sleeps
© Bild: Martin Datzinger
„LOS!“ Hat da wer gerufen? Ein Scherzbold mit Haberkorn-Trichter sorgte für den Fehlstart.

„Nach einer halben Runde“, so erklärt mir Christoph Jordan die ersten vier Stunden, „nach einer halben Runde ist der ­Erste ausgerollt. Nach zehn Minuten lag der Erste auf dem Dach. Nach einer halben Stunde hat ein Fiat Bravo gebrannt. Eine halbe Stunde später musste der Führende das hintere Domlager schweißen.“

24 Stunden vom Nordring (2012): Rust Never Sleeps
Das wichtigste zuerst – und das wäre?

Zeit, sich ein wenig im Fahrerlager umzuschauen. Das Westend, die Abteilung des coolen Star-Alliance-Trucks von Lucas Lichtner-Hoyer, und den aufgemotzten ­Cayenne Turbo daneben mied ich. Obwohl, immerhin war er Rennpartner von Karl Wendlinger. Eigentlich rührend, dass er sich hier einfand, bei einer absoluten Low-Key-Veranstaltung. Das Eyecoon-Team daneben hätte seine coolen Lupos besser nicht mit Überrollkäfig, Renn­schalensitzen und weißichwas noch an den Start gebracht. (Ich dachte an eine alte Waldeck-Geschichte, als er vom Slotcar-Racing unter Freunden erzählte und alle bastelten eher unbeholfen herum, um kleine Vorteile der Balance, der Schmierung herauszuholen. Dann kam der dicke Erwin und machte alles kaputt: Sein Vater hatte ihm Moosgummi-Reifen gekauft. Erwins – es gibt sie überall.)

24 Stunden vom Nordring (2012): Rust Never Sleeps
© Bild: Martin Datzinger
Sogar das wurde geflickt

Freude jedoch über den geschätzten Ex-Autorevue-Kollegen Werner Jessner, nun RedBulletin, der mit seinem Team YUGO ALL STARS den unausgesprochenen Sympathie-Award verdiente. Einen Original-Yugo aus Slowenien an den Start zu bringen lag genau auf der Schneide zwischen Chuzpe und Liebenswürdigkeit – der Gesamtauftritt samt weißen Overalls, Pornobrillen, Jugobärtchen und phantasiebegabter Namensgebung (Karel Prasic, ­Milan Gasic, Lego Cevapcic) war unüberbietbar.

24 Stunden vom Nordring (2012): Rust Never Sleeps
Yugo Boys

Unser Christoph Jordan hatte sich als Last-Minute-Kandidat bei den Disastercars eingefunden, wo unser Fotograf Martin Datzinger das Auto gecheckt hatte: Einen Mazda 323 mit Automatik und Handgas/-bremse. Das hilft, wenn man Rollstuhlfahrer ist, ungemein. Auch die anderen konnten sich nicht über das Automatikgetriebe beklagen, zogen aber nach zaghaften Versuchen am Handhebel, die augenblicklich zur Vollbremsung führten, die Fußbremse vor.

24 Stunden vom Nordring (2012): Rust Never Sleeps

In der Nachbarbox trafen wir Matthias Kaiser, Autorevue-­Racing Rookie 2009 (der, man kann es ruhig verraten, mit seinem Team auch das Rennen gewinnen würde).

Überraschungsdritter: Ex-Autorevue-Mann Martin Hartmann, der mit seinem Taxifunk-Dreierteam den dritten Platz auf einem Mazda 323 schaffte. Chapeau!

24 Stunden vom Nordring (2012): Rust Never Sleeps
Publikum noch stundenlang

Noch ein alter Bekannter: Auto Metzker Junior, der ein Team von drei Golfs sponserte und auch den Ventilspiel-Leuten rund um Veranstalter (und spaßhabenden Teilnehmer) Roland David ein Auto von der Halde zukommen hatte lassen. Allerdings schlau gewählt – dieser 323 hielt nur bis zum späten Morgen durch.

Es zog mich immer wieder an den Strecken­rand: Selbst wenn das Rennen nicht den Kitzel des Augenblicks in sich trug, so wurde doch forsch und forscher ­gefahren; es gab selektive Stellen, wo der ­Asphalt in Schotter und der Schotter in ­Asphalt überging. Manche lupften, manche blieben ungerührt. Der 40-PS-Escort hatte angeblich nur mehr den dritten Gang zur Verfügung, beim Yugo-Team war dieser mehr eine Sache der Grundhaltung. Es gab waidwund schlackernde Hinterachsen zu sehen, rauchende Motoren, in den Koffer- oder Motorraum eingefahrene Federbeine, zischende Kühler, geborstene Windschutzscheiben oder aberwitzig wie in Animationsfilmen wegklappende Vorderräder. ­Alles in voller Fahrt. Dann und wann begab sich der diensthabende Range-Rover ins Feld, um vollends Liegengebliebene ins Fahrerlager zu holen. Viel mehr an Intervention war nicht nötig.

24 Stunden vom Nordring (2012): Rust Never Sleeps
Schi heil oder was?

Roland David bedankte sich anlässlich der Siegerehrung ausdrücklich dafür, dass in dieser Gelbphase vom Überholen abgesehen worden war. Allgemeines Gelächter wie über einen guten Witz. Doch immerhin waren die gegenseitig zugefügten Schrammen in die Kategorie der Hoppalas einzuordnen – um so schöne Raritäten wie den Käfer oder den Zweier-Escort wurden regelrecht Bögen gefahren.

24 Stunden vom Nordring (2012): Rust Never Sleeps
124 forever

Nachts um halb zwei kam die Polizei mit den tröstenden Worten: „Um sechs Uhr geht’s dann wieder. Ihr könnts ja ein paar Stunden hinten anhängen.“ Schicksal oder Glücksfall – beklagt hat sich niemand über die fehlenden vier Stunden. Man ­reparierte, schlief, rauchte – Alkohol war ohnehin tabu, man wollte fit sein für einen langen Tag.

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Lady Burnout

Der Morgen sah immerhin noch 23 von 35 Autos in Bewegung. Josef Metzker gab sich enttäuscht: „Wir haben 85 Reifen und ein ganzes Ersatzteillager mitgenommen. verbraucht haben wir bisher drei Reifen und drei Auspuffe.“ Bald zeichnete sich ab: Es würde solche geben, die tausend und mehr Kilometer geschafft hatten. Und solche, die nicht. Das Team um Martin Datzinger kannte diese Kategorisierung nicht: Der Tacho war als Erstes ausgefallen.

24 Stunden vom Nordring (2012): Rust Never Sleeps
© Bild: Martin Datzinger
Unser Martin (Motorhaube), unser Christoph (dahinter, verdeckt) mit dem ganzen Team Disastercars.

24 Stunden vom Nordring (2012): Rust Never Sleeps

 

Aus der Sicht des Fahrers

MAZDA 323 „ZOMBIE“ Ohne Teamgeist geht nichts. Ohne Ernst auch nicht.

12.28
Ankunft in Fuglau. Man möchte ja doch einen netten Platz im Fahrerlager, daher die frühe Anreise. Bin ein bissl schockiert von der Professionalität, die da an einigen Ecken herrscht. Zwei echte Renntrucks, einer davon mit einem angehängten halben Bierzelt, sind zu sehen, ein Bus mit geschätzten 16 Garnituren Reifen am Dach rollt herein.
Teamkollege Joachim ist auch schon da, wir bauen auf: Joachim legt die Plane fürs Auto auf, beschwert sie mit Wagenheber und Radkreuz – ich kurble die Markise von Fridolin, dem Wohnmobil, aus. That’s it.

14.32
Zwischenfrage beim Essen: „Hat sich eigentlich irgendwer die Bremsen vom Auto ang’schaut?“

Wir tauschen Bremsbeläge. Die dürften die 74.098 Kilometer, die der Tacho anzeigt, auch alt sein. Alex attestiert unserem Rennboliden derweil einen stinkenden Innenraum.

15.47
Wir kommen drauf, dass wir noch keine Fahrerreihenfolge haben. Martin, der das Auto aufgestellt hat und dem eigentlich der erste Stint gebührt, ist auch noch nicht da. Teamchef Ernst wird interimsmäßig nominiert.

15.59
Irgendwer schreit durch eine Pylone „Los!“ Veranstalter Roland David durchs Megaphon: „Ernstl, benimm dich!! … na gut, dann los!“

16.09
Ein Polo liegt auf dem Dach. Erster Rennabbruch. Ernst kommt rein und meint: „Burschen: Nur warten und zuschauen, wie sie sich gegenseitig ausdämpfen. Fahrts schön und hauts nix z’samm. Wir haben 24 Stunden Zeit.“

20.22
Endlich bin ich an der Reihe. Ernst vergewissert sich wieder mal von der Funktion des Schiebedachs und will den Kilometerstand wissen. „74089.“ „Was? Gibt’s net!“ Ich, erneut: „74089!“ Ernst: „Des san neun Kilometer weniger als beim Start! Hahaa!“ So sieht echte Ernsthaftigkeit aus, liebe Kollegen: Wenn man beim letzten Fahrer erst draufkommt, dass der Tacho nicht funktioniert. Immerhin waren wir so clever, den funktionierenden Tageskilometerzähler vor dem Start zu nullen.

23.50
Es geht wieder los. In der Nacht zu fahren ist schlicht geil. Auf der geschotterten Gegen-geraden kommt im tanzenden Scheinwerferlicht sogar ein wenig Rallyefeeling auf.

1.47
Bettschwere überkommt mich. Kurz nachdem ich mich ins Wohnmobil verkrochen habe, wird es ruhig. Rennabbruch wegen Anrainerbeschwerden. Um 6 soll es weitergehen.

8.32
Lärm vor der Tür reißt mich aus dem Schlaf. Vorm Wohnmobil stehen ein geknickter Joachim und ein Mazda mit perforiertem Kühler. Glatter Durchschuss, das Auspuffröhrl vom Nachbar-Escort. Teamchef Ernst nimmt’s locker: „In ana hoibn Stund fohr ma wieder!“ Der einzige aufzutreibende Kühler, bei dem die Anschlüsse passen, steckt im Tipo der bereits ausgeschiedenen Abarth-IG. Dumm nur: Der Fiat hat den Ausgleichsbehälter oben am Kühler integriert. Ernst schneidet die Motorhaube großzügig aus, der Mazda fährt wieder. Sollte es eine Zombie-Wertung für Autos geben, ist der Sieg unser.

13.06
Phil kommt rein, der Mazda wirkt leicht tiefergelegt. Das linke hintere Federbein hat’s erwischt, es wurde samt Dom durch die Innenverkleidung gegen die C-Säule geschossen. Ursache: Rost. Phil montiert die verbliebenen Fragmente der Verkleidung ab, entdeckt bei dieser Gelegenheit die Ursache für den muffigen Geruch im Auto: eine Schnitzelsemmel in der Sitztasche. Baujahr unbekannt. Keiner will sie angreifen, es ist uns mittlerweile auch egal – durch den Staub in den Nasen riecht ohnehin niemand mehr was.

Spenglerei by Brechstange: Ernst überredet das gesunde Blech rund um den Federdom mit dem schweren Hammer zur Kooperation. Danach wird geschweißt, was das Zeug hält: Alles Formrohr, was irgendwie aufzutreiben ist, wird vom Obermechaniker verbraten. Das Resultat ist preisverdächtig.

16.00
Unser Auto wird abgewunken, der Zombie hat tatsächlich durchgehalten. Das ist beachtlich. Die Kilometerleistung verkommt zur Nebensache. Wir waren ja nur des Spaßes wegen hier. Christoph Jordan