Autorevue Magazin-Archiv: Ausgabe 06/1985

Ausgabe der Autorevue vom Juni 1985 mit Cover, Editorial & Impressum

Zuletzt aktualisiert am 08.09.2020

Lieber Leser,

als Lee Iacocca vor sechs Jahren die Macht bei Chrysler übernahm, hatte die Company 35 Vice Presidents. Iacocca schmiß 33 davon raus, aber nicht mit einem wilden, maßlosen Keulenhieb, sondern einen nach dem anderen, sobald er sich ein Bild über ihn gemacht hatte. Da er ein sorgfältiger Mensch ist, brauchte er drei Jahre dazu. Uff, resümierte der Scheich, ungefähr einen pro Monat.

Die Stelle mit den 33 gestanzten Vizepräsidenten ist für mich die drolligste in jenem Buch, das in diesen Tagen zu einem unglaublichen Hit in Amerikas Buchgeschäften geworden ist. Unglaublich deshalb, weil Bücher aus der Autowirtschaft nie über die spezialisierte Zielgruppe hinauskommen – mit der bisher einzigen Ausnahme von John de Loreans „On a Clear Day You Can See General Motors“. Das neue Buch ist eine Biographie und trägt den vernünftigen Titel „IACOCCA“. Besser formulierte Titel gibt’s derzeit nicht, zumindest nicht in Amerika, wo sie schon so weit sind, den Automacher zum nächsten Präsidentschaftskandidaten vorzuschlagen. Wer 60 Milliarden (Schilling) Schulden zurückzahlt, kann nur ein ehrenwerter Mann sein. Und wer Chrysler wieder hochgekriegt hat, blickt auch einem Gorbatschow ins gerötete Auge.

Das Buch ist tatsächlich ein Hammer, denn es zeigt uns die noch immer wunderbare Spannweite des Machbaren in Amerika. Normalerweise werden gerade die größten Konzerne von den diskretesten aller Moguln geführt, und das Volk kriegt selten eine Idee, wie es bei denen zugeht. Wenn dann wirklich einer auspackt, und das ist ja nun erst zum zweiten Mal (nach de Lorean) passiert, fallen dir die Augen raus:

Wie unglaublich schlecht die Manieren im Bereich der höchstbezahlten Industrielenker der Welt sind,

wie wenig „style and class“ sie haben, von Kultur nicht  zu reden, die kommt überhaupt nicht vor,

wie sehr mit Wasser gekocht wird – oder überhaupt mit heißer Luft.

Ich meine, wenn ein neuer Boss locker drüber plaudert, daß 33 seiner 35 Vizepräsidenten leider ziemlich blöde Hammeln waren – wie ist dann diese Company vorher geführt worden? Iacocca zeichnet (wie de Lorean zehn Jahre vor ihm) die Giganten der amerikanischen Industrie als riesige Bären, fad, mißtrauisch und manchmal bösartig. Zu riesig, um angegriffen zu werden, aber auch zu riesig, um sich vernünftig zu bewegen. Sie fressen manchmal gierig große Brocken (Chrysler: Simca und Rootes) und speiben sich nachher an. Sie haben ein lächerlich kleines Hirn, wie das eben bei großen Viechern ist. Sodaß dann halt ein ganz smarter Bursche kommen kann und den Saurier an den Nasenring hängt. Einer wie Iacocca.

Manchmal ist es ein wärmender Gedanke, daß man das Leben der Großen so simpel sehen darf (und wohl auch muß), in diesem Sinne grüße ich Sie fröhlich,

 

Ihr

Herbert Völker