Ford Focus RS: Technik overload

Die ganze Story zum Wunderallrad des RS.

radical mag
Veröffentlicht am 26.01.2016

70% der Kraft an der Hinterachse. Eine Zahl, die Tyrone Johnson* nirgendwo lesen will. Warum? Weil sie überhaupt nichts aussagt. Aber wir sind geil auf Zahlen. Brauchen das, müssen immer mehr haben, als andere sowieso. PS, Null auf hundert, Drehmoment, Leistungsgewicht, Endgeschwindigkeit – immer höher, schneller, weiter.

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Deshalb auch die 70%. Weil eine vermeintlich hecklastige Auslegung des Allradantriebes für Fahrspaß steht. Dass die Zahl quasi frei erfunden ist, nur damit man für die Pressemitteilung eine griffige headline hat, die alle Kollegen brav abschreiben, wunderbar! Nur: was sagt sie wirklich aus? Eben: gar nix.

Denn, wenn die Schwiegermutter im RS brav die Brötchen holt, dann kann der schnelle Ford ein Fronttriebler sein. Hinterachse? Sie fährt bloß hinterher, brav, weil sie halt leider am selben Chassis festgenagelt ist. Wenn aber der junge Rennfahrer auf dem Eis stehend tüchtig aus Gas steigt, ein Hinterrad gerade irgendwo Schlupf gefunden hat, dann ist der Ford ganz normal ein Hecktriebler. Vorderachse? Haltlos, durchgehend, unbrauchbar. Stattdessen geht alles nach hinten – und damit meinen wir wirklich alles. Bei Bedarf sogar nur einseitig. Also: 100% nicht nur hinten, sondern 100% auf einem (!) Hinterrad. Es lebe die Freiheit! Volle Variabilität, immer, überall. Der Ford kann machen, was er will.

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Dass das freilich nicht oft vorkommt, liegt vor allem an den Traktionsbedingungen. Seltenst können drei Reifen nix übertragen und einer viel. Noch seltener stiefelst du in so einer Situation derartig rein, dass er die 100/100-Verteilung auch wirklich aktivieren würde. Überhaupt muss man auch ein bisserl aufs Material achten. 470Nm auf einem armen Rädchen. Am Ende des Tages ist so ein Ford nur ein zarter Kompakter, kein LKW.

Wer das alles nicht ganz nachvollziehen kann, dem helfen wir deshalb noch einmal mit ein paar Grundlagen auf die Sprünge. Es ist dies also ein kleiner Exkurs in die Technik des Allradantriebs. Zumindest in die des Ford Focus RS. Denn: nicht allen scheint sofort klar, warum der Unterschied zum Rest der Welt so groß ist.

Prinzipiell gibt es zwei Arten wie man die vier Räder antreiben kann, permanent oder eben nicht permanent. Ersteres kommt vor allem in den gemeinhin als „echten“ Allradlern bekannten zum Einsatz und wird über ein zentrales Differential gesteuert. Nicht permanente Allradantriebe schalten die zweite Achse dann entweder manuell oder automatisch zu.

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Zu sehen ist die Kraftabzweigung über die PTU der Vorderachse

Der Focus gehört zur Gattung der nicht permanenten Allradler. Obwohl er eigentlich einer ist. Denn am vorderen Differential ist starr die Power Take-Off Unit, also der Kraftverteiler angeflanscht. Dieser dreht mit der vorderen Differnetialdrehzahl die Kradanwelle und diese das Hinterachsdifferenzial. Ob allerdings die beiden hinteren Antriebswellen wirklich Drehmoment vom Differential abnehmen dürfen, darüber entscheiden zwei Lamellenkupplungspakete. Im Gegensatz zu dem in dieser Klasse üblichen Haldex-System, bei dem eine Hydraulikpumpe eine Lamellenkupplung bei Bedarf in den Kraftschluss schaltet, darf der Ford seine beiden Kupplungen elektrisch betätigen.

Und hier liegt der große Vorteil.

Braucht das Haldex-System etwa eine Viertelumdrehung Schlupf an der Vorderachse, bis die Ölpumpe an der Hinterhand genügend Druck aufgebaut hat um die durchgehende Kraft ins Heck zu schieben, geht es im Focus deutlich schneller. 100Hz ist die Frequenz, mit der RS seine Kraftverteilung ausrechnet – 100 mal in der Sekunde also, was, ähm, ziemlich schnell ist.

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Doch nicht nur das. Schaltet beim Konkurrenz-Haldex dann die gesamte Hinterachse zu, kann der Ford die Verteilung dank der genannten zwei Kupplungen frei variieren. Im Sprint macht das zwar keinen Unterschied, da hat der RS keinen Vorteil gegenüber RS3, Golf R oder den 45er AMGs, doch der Sprint zählt sowieso nur für die, die nicht ums Eck fahren können.

Dort schlägt dann die Stunde des Performance-4WDs. Nehmen wir an du hast eine langsame, enge Links vor dir. Zweiter Gang, Scheitelpunkt, Vollgas. Was passiert im normalen hot hatch? Nicht viel. Das innere Rad wird dir durchgehen und sich fröhlich in Rauch auflösen, anstatt brauchbaren Vortrieb zu generieren. Im Haldex-hatch geht die Vorderachse auch durch, kurz, dann schaltet die Kupplung und die Hinterachse kommt dazu. Da aber auch bei ihr das innere Rad weniger Freude an der Kurve hat, ist das Traktionsniveau zwar besser, aber immer noch nicht richtig fröhlich. Es fehlt: die Sperre.

Kleinteilige mögen nun anfügen, dass es den 45er AMG seit seiner Modellpflege mit einer Sperre gibt, doch Achtung: die sitzt an der Vorderachse. Was tut sie also? Klar, mehr Kraft auf den äußeren Reifen an der Front. Das bringt etwas, aber: die Hinterachse kommt eben auch entsprechend später ins Spiel. Immerhin zeigt der Aufwand, dass eine zugeschaltete Achse im wirklich heftigen Einsatz der Weisheit letzter Schluss allein nicht ist.

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Im Focus RS läuft die Hinterachse schon vor der engen Links und dem Traktionsverlust der Vorhand mit. Warum? Weil der Ford erkannt hat, dass du am Ballern bist und vollen Einsatz brauchst. Er hat also seine Kupplungen beide so ein bisschen geschlossen, damit es wie gewünscht nach vorne geht. Nun reißt du die Lenkung rein, die Vorderachse geht ins Eck und die äußere Kupplung an der Hinterachse schließt noch mehr, die innere macht im gleichen Maße auf. Das Ergebnis: mehr als ein Sperrdifferential. Alle Kraft liegt schön von der Fahrdynamik belastet am äußeren Rad, der RS pfeilt um die Kurve – wer das ESP in die richtige Position geklickt hat, der erntet gar ein feines Übersteuern.

Denn eben genau darum ging es Ford: Fahrspaß. Und den hast du eben nicht, wenn es nur im Haudrauf-Modus digital um die Biegung geht, sondern wenn alles cremig, locker und leicht so ein bisschen entgleitet. Nochmal: Leistungsübersteuern in einem Kompakten! Das kann nicht mal ein M135i, weil ihm schlicht die Sperre an der Hinterachse fehlt.

Doch die Wahnsinns-Mechatronik im Hinterachsdifferenzial des RS ist nicht der einzige Trick, den Ford im schnellsten Focus verbaut hat. Die Übersetzungen an sich bergen noch eine Überraschung. So ist die Hinterachse 1.8% schneller übersetzt, als die Vorderachse. Soll heißen, dass die Hinterräder – wann immer sie auch nur im kleinsten Prozentsatz aktiv sind – um 1.8% schneller drehen als die beiden an der Front. Das spannt das Auto vor, wie Tyrone Johnson betont. Und es ist kein Markting-Blabla, es ist wirklich so. Der RS schießt ansatzlos, er muss nicht erst irgendwelches Öl in irgendwelche Kanäle schaufeln, er ist sofort da, sofort quer und sofort gut.

Erfunden haben sie das torque-vectoring-System in der „rear drive unit“ übrigens nicht bei Ford. Es stammt von GKN, heißt dort Twinster und fand erstmals Verwendung im Range Rover Evoque. Aus diesem lieh sich das Team um Johnson übrigens das erste Prototypen-Diff für den RS. Freilich hielt es keine Woche, ohne unter dem Dampf des 2.3er Ecoboost-Motors zu zerbröseln.

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*Tyrone Johnson, als Vehicle Engineering Manger von Ford Performance der Vater des neuen RS, hat während der Vorstellung des Autos in Valencia mehrfach Tacheles mit uns geredet. Als Mann der für die Kölner schon Formel 1-Autos entwickelte und sich für das WRC-Engagement verantwortlich zeigte, sollte jedem klar sein, dass er ziemlich genau weiss, was er tut. Und wenn jemand wie er sagt, dass er das Auto abseits jeder Stoppuhr rein auf Fahrspaß hin entwickelt hat, dann ist das wunderbar. Denn für einen echten Motorsportler hat Fahrspaß immer auch etwas mit Schnelligkeit zu tun. Großer Schnelligkeit. So gibt es auch keine offizielle Rundenzeit von der Nordschleife, weil es schlicht nicht sein Ziel war, irgendwelche Papierwerte zu erfüllen. Stattdessen ist er selbstbewusst: wer mag, der soll seinen RS am Ring messen. Danach die Konkurrenz. Er wird es nicht bereuen. Dass er das ernst und nicht überheblich meint, wird spätestens dann klar, als er sagt, das für ihn ein A45 AMG gemessen am Chassis und der Fahrdynamik das schlechteste Auto, das er seit langer Zeit gefahren ist. Weil eine solche Aussage machst du trotz größter „balls“ nicht einfach so, wenn du dir nicht wirklich sicher bist und das eigene Auto am Ende paniert werden würde.

Besten Dank an die Kollegen von radical-mag.com.

© Fotos: Fabian Mechtel/Werk+Habegger

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