Supertest 2016: Nissan GT-R

Wir schreiben den 9. Teil des Supertests 2016, es geht um den schnellen Nippon Nissan GT-R. Und um seine vielen Qualitäten.

radical mag
Zuletzt aktualisiert am 29.03.2021

Peter Ruch von radical-mag war einer unserer Gäste beim Supertest 2016, wir wollen euch seine sehr lesenswerten Berichte nicht vorenthalten.

Seit 2007 ist der Nissan GT-R nun schon auf dem Markt. Also, natürlich nicht, denn die ersten GT-R gab es schon 1969, doch in der neuen Form gibt es «Godzilla» nun auch schon fast zehn Jahre. 2010 wurde er erstmals aufgefrischt, und seither gibt es jedes Jahr ein paar Verbesserungen und Veränderungen, zuletzt in diesem Jahr. Da haben die Japaner ihrem Spielzeug mehr Ladedruck und geänderte Zündzeitpunkte und damit 20 PS mehr spendiert, 570 sind es jetzt, es gibt auch mehr Drehmoment, 637 Nm sind es maximal, die zwischen 3.300 und 5.800/min anliegen. Optisch sieht man das vor allem vorne, größere Öffnungen sollen rund 20 Prozent mehr Frischluft in den Motorraum bringen. Die Fahrleistungen sind auf dem Papier weiterhin vorzüglich, in nur gerade 2,8 Sekunden soll der GT-R von 0 auf 100 km/h sprinten, gegen oben ist erst bei 315 km/h Schluss.

Nissan GT-R, rundum glücklich

Unter den bösen Sportwagen war der Nissan GT-R schon immer so etwas wie das Rundumsorglos-Paket. Er hat Allradantrieb, was ihn auch wintertauglich macht, er hat den Motor vorne eingebaut, was ihm ein anständiges Kofferraumvolumen beschert, nämlich 315 Liter. Und mit seinen 4,7 Meter Länge ist er so groß, dass hinten tatsächlich jemand sitzen kann. Außerdem hat Nissan seinem Vorzeige-Produkt in der jüngsten Ausgabe noch einen Schalter eingebaut, der die Nachbarn schützt – er macht den GT-R nämlich leiser. Eine interessante Überlegung: bei allen Konkurrenten ist üblich, dass der Auspuff-Sound auch auf laut gestellt werden kann (oder gar krank, wie beim Jaguar F-Type SVR), die Japaner nehmen dagegen 10 Dezibel aus der Titan-Auspuffanlage. Um ganz ehrlich zu sein: wir haben den Unterschied irgendwie nicht bemerkt, innen. Und um noch einmal ganz ehrlich zu sein: der 3,5-Liter-V6 mit doppelter Zwangsbeatmung tönt eh nicht besonders aufregend. Was halt aber wahrscheinlich auch zum Rundumsorglos-Paket gehört, der Japaner fällt ja ganz allgemein nicht gern auf.

Supertest 2016: Nissan GT-R
© Bild: Peter Ruch

Ab wann die Plomben wackeln

In der jüngsten Variante – es gibt davon übrigens mehrere, fünf, um genau zu sein – wird dem GT-R auch mehr Komfort mit auf den Weg gegeben. Es beginnt damit, dass das 6-Gang-Doppelkupplungsgetriebe nicht mehr jeden Gangwechsel mit einem Schlag auf den Hinterkopf der Insassen quittiert, auch das laute Klacken haben sie ihm abgestellt. Doch auch das Fahrwerk hat unterdessen noch so etwas wie Rest-Komfort, man kann nicht mehr unterscheiden, ob der überfahrene Zigarettenstummel auf der Straße einen Filter hatte oder eben nicht. Als souveränen Gleiter auf der Autobahn muss man ihn deswegen aber nicht gleich bezeichnen, da bleibt eine sehr gesunde Härte erhalten. Auf schlechten Straßen allerdings kommen da die Plomben schon etwas ins Wackeln.

Auf der deutschen Autobahn

«radical» hatte den Nissan GT-R aus der Schweiz an den #supertest2016 mitgebracht. Das bedeutete: einmal grob auf der deutschen Autobahn. Und da ist man dann ein wenig erstaunt, dass der Nissan auch im schärfsten Modus so nett ist. Irgendwie erwartet man schon Wilderes, Gröberes, aber weil halt das Drehzahlband so breit ist, bleibt der Tritt ins Genick aus – wie schnell man ist, sieht man eigentlich nur auf dem Tacho. Und dann eilt man dann schnell einmal und locker mit 270, 280 einher – und fühlt sich so sicher wie im Premium-Geschäftsleiter-Diesel bei 150. Die Frage darf aber schon sein: wollen wir uns in einem Sportwagen vom Kaliber des GT-R fühlen wie in Abrahams Schoss? Für unseren Geschmack dürfte er bissiger sein, härter, böser.

Supertest 2016: Nissan GT-R
© Bild: Peter Ruch

Was sagt Karl Wendlinger?

Der Wendlinger Karl sagt: «Getriebe gut, Lenkung gut.» Das würden wir unterschreiben. Er sagt dann auch: «Vorderachse gut», aber das sagt er oft und das können wir zu wenig gut beurteilen. Ganz geheuer war dem ehemaligen Formel-1-Rennfahrer der GT-R aber nicht, er glaubte den Wagen zwischen Unter- und Übersteuern balancieren zu müssen – dass der Schwerpunkt zu hoch sei, womit dem Nissan die Sattheit auf der Straße fehle. Das könnte erklären, weshalb der Geheimfavorit mancher Anwesender am #supertest2016 es nur auf den 5. Platz schaffte. Mit doch deutlichem Rückstand auf den Sieger. Ach ja, das Gewicht: 1.827 Kilo. Das ist zu viel, eine Diät würde dem Nissan guttun.

Der digitalste Sportler

Und innen vielleicht ein moderneres Design. Das ist schon alles ok, aber halt mehr: praktisch. Es gibt jetzt weniger Knöpfe und mehr Übersicht, aber wir würden uns in erster Linie mehr Charme wünschen. Vielleicht auch eine Lederausstattung, die nicht nach McDrive aussieht. Zwar ist der Nissan wahrscheinlich der digitalste unter den aktuellen Sportlern, die Masse an elektronischen Systemen ist heftig, es lässt sich auch am Bildschirm stundenlang spielen, doch – wer braucht das wirklich?

Supertest 2016: Nissan GT-R
© Bild: Peter Ruch

Der pure Spaß, auf der richtigen Route

Egal. Denn wenn man drin sitzt und das Fahrzeug so langsam kennt und auch damit umgehen kann, dass er etwas unübersichtlich ist, dann kommt da schon große Freude auf. Für den Heimweg wählte «radical» den so hoch geschätzten Umweg, von Salzburg ging es ins Engadin, dann über den Albula, die Lenzerheide, den Klausen und schließlich auch noch den Susten. Ein anständiger Ritt, auch für einen Motor-Journalisten, und es war ein Wochentag, fast kein Verkehr in den Bergen. Und dann lernt man dieses Rundumsorglos-Paket eben schätzen, der Nissan riss die Kilometer und Kurven mit einem Lächeln runter, kein ungewöhnliches Geräusch, nur die reine Freude am Fahren, der pure Spaß. So ein bisschen quer bringt man ihn nur mit Vorsatz, die Bremsen sind großartig (auch ohne teures Keramik-Zeugs), die Lenkung ein Gedicht und das Getriebe (das man neu über Paddels am Lenkrad bedient) perfekt in seinen Anschlüssen, hoch wie runter. An die Grenzen – Talent, Mut – kommt der Pilot weit vor dem Fahrzeug. Gut, die Sitze könnten etwas mehr Seitenhalt bieten, aber auch daran gewöhnt man sich bald (wie auch an die Paddels…). Und vielleicht ist man dann auch irgendwann froh, dass der GT-R nicht zu wild röhrt.

Ziemlich wild, aber nicht gefährlich böse

Und dann muss halt noch etwas geschrieben sein: den GT-R gibt es in seiner Basis-Version ab 124.750 Euro. Man kann sich also zwei dieser Teile kaufen anstatt eines Audi R8 plus. Und das ist ja dann – beim Audi, auch beim Porsche – noch ohne Spezialwünsche. Gut, man kann den Japaner auch künstlich verteuern, die Nismo-Variante, dann so richtig kompromisslos, 600 PS, kostet satte 233.400 Euro, doch das ist irgendwie gar nicht nötig. Denn gerade so, mit dem Rundumsorglos-Paket, ist der GT-R bestens, alltagstauglich und doch richtig schnell, ziemlich wild, aber doch nicht gefährlich böse.

Die Supertester 2016

Alle Preise für Österreich (Stand Dezember 2016) 

Vielen Dank für diesen Beitrag an die Kollegen von radical-mag.com