Werk
Porsche 911 S 2.7 Targa mit und 911 Turbo 3.0. Modelljahr 1976 .

Der Porsche 6-Zylinder-Boxermotor erklärt

Porsche-911-Fahren ist, und das hat sich nach dem Ende der Luftgekühlten nicht geändert, stets auch eine Frage der Musikalität.

asphaltfrage
Veröffentlicht am 11.07.2022

Also drehen wir den Schlüssel (und drücken nicht einen dieser lachhaften Startknöpfe) des Porsche 911, die Klappensteuerung der Sportabgasanlage ist auf Durchzug gestellt, das Trommelfell ist gespannt, die Luft angehalten, auch der Nachbar spitzt die Ohren, aus den Bäumen steigen nervös die Vögel auf.

1963 Weltpremiere des Porsche 911er

Der Porsche 6-Zylinder-Boxermotor erklärt
© Bild: Werk

Alles fing auf dem Zeichenbrett des Hans Mezgers an. Die Vierzylinder-Motoren des 356 waren nicht mehr weiterzuentwickeln um die geforderte Leistung des kommenden 911 zu bringen, deshalb musste ein Sechszylinder her.

Bei der Weltpremiere des – ursprünglich noch 901 bezeichneten – ersten Elfers auf der IAA 1963 schöpfte der Sechszylinder-Boxermotor aus zwei Liter Hubraum eine Leistung von 130 PS bei 6.100/min. Der Erfolg des neuen Sportwagens ließ bald den Wunsch nach mehr Leistung laut werden. Porsche reagierte, und zum Modelljahr 1967 debütierte der 911 S mit 160 PS bei 6.600/min. Besonders stolz waren die Ingenieure damals darauf, dass es im 911 S trotz der Mehrleistung und einer Literleistung von 80 PS pro Liter keine Einschränkung in der Lebensdauer des Aggregats gab.

Der Porsche 911 etabliert sich

Der 911 etablierte sich nicht nur durch seine effiziente Leistung auf dem Weltmarkt, sondern auch durch seinen technologischen Fortschritt. 1968 bot Porsche den Sportwagen erstmals mit abgasentgifteten Motoren für die USA an. Das Besondere dabei: Porsche schaffte es, ohne Leistungseinbuße und mit fast identischem Fahrkomfort die US-Abgasgesetze zu erfüllen, inklusive der besonders strengen Regelungen in Kalifornien. Die Abgasentgiftung geschah über eine Abgasrückführung in den Ansaugtrakt und Thermoreaktoren. Für die Entwicklungsarbeiten hatte Porsche als erstes Unternehmen in Europa überhaupt Abgasprüfstände installiert.

Mehr Leistung und Drehmoment

Zum Herbst 1968 führte Porsche die mechanische Benzineinspritzung mit der Bosch Sechsstempel-Pumpe ein. Sie brachte zusammen mit Hubraumsteigerungen mehr Leistung und Drehmoment. 1969 wuchs der Sechszylinder zunächst auf 2,2 Liter, zwei Jahre später dann auf 2,4 Liter. Das brachte beispielsweise dem 911 S zunächst 180 PS und dann 190 PS. 1971 wurde zugleich die Verdichtung gesenkt, um alle 911 weltweit mit Normalbenzin fahren zu können.

1974 der 911 Turbo als erster Seriensportwagen mit Abgasturbolader

Der Porsche 6-Zylinder-Boxermotor erklärt
© Bild: Werk

1974 hatte eine Legende ihren ersten Auftritt: Porsche stellte den 911 Turbo vor, der erste Seriensportwagen mit Abgasturbolader. Damit hatten die Ingenieure ihre umfangreichen Erfahrungen aus dem Motorsport mit aufgeladenen Motoren in die Serienproduktion übertragen. Der Motor basierte auf dem Aggregat des 911 Carrera RS 3.0, leistete 260 PS sowie ein Drehmoment von 343 Newtonmetern und verhalf zu einer Höchstgeschwindigkeit von mehr als 250 km/h.

Weiterentwicklung des Sechszylinders

Die Weiterentwicklung des Sechszylinders brachte Hubraum- und Leistungssteigerungen in mehreren Stufen, verbunden mit moderner Abgastechnologie. Die ersten Boxermotoren mit geregeltem Abgaskatalysator baute Porsche 1980. Drei Jahre später wurde eine neue Generation von Saugmotoren mit 3,2 Liter Hubraum und digitaler Motor-Elektronik DME präsentiert. 1988 verbesserte Porsche die Verbrennung weiter und entwickelte einen Zylinderkopf mit zwei Zündkerzen pro Brennraum.

Der Zenit wird erreicht

Seinen Zenit erreichte der luftgekühlte Boxermotor mit dem Saugtriebwerk der Modellreihe 993, das 1995 im Topmodell 911 Carrera RS aus 3,8 Litern Hubraum 300 PS leistete. Als Ableitung aus dem Rennsport gab es in Kleinserie den 911 GT2, dessen 3,6-Liter-Motor mit Hilfe von zwei Turboladern zunächst 430 PS entwickelte, im Modelljahr 1998 dann 450 PS. Auch der 911 Turbo erhielt das Biturbo-Konzept, zudem als Weltneuheit das Abgasüberwachungssystem OBD II. Der jetzt 408 PS starke Motor basierte zwar auf dem 3,6-Liter-Saugmotor, doch war er so umfassend modifiziert, dass er als eigenständige Konstruktion galt.

Der Porsche 6-Zylinder-Boxermotor erklärt
© Bild: Werk

Irgendwann war die luftgekühlte Zweiventiltechnik dann aber auch nicht mehr in der Lage bei Leistung- wie Verbrauchswerten den Zuffenhausener Ansprüchen zu genügen.

1996 der erste wassergekühlte Sechszylinder-Boxermotor

Erstmals setzte Porsche ein wassergekühltes Boxertriebwerk ein, 2,5 Liter groß und 204 PS stark. Frei von den bisherigen Beschränkungen mit Luftkühlung spendierten die Motorenentwickler dem neuen Triebwerk einen Zylinderkopf mit zwei Nockenwellen und vier Ventilen pro Brennraum. Ein Jahr später erschien der neue 911 der Baureihe 996, ebenfalls mit wassergekühltem Motor. Das Aggregat mit 3,4 Liter Hubraum war deutlich kürzer und vor allem flacher als der Vorgänger. Es leistete 300 PS und war wesentlich drehfreudiger als der bisherige Saugmotor. Die Einlassnockenwelle ließ sich überdies verstellen, die variable Steuerzeiten-Verstellung VarioCam war geboren. Zwei Jahre später wurde dieses System durch eine Ventilhub-Umschaltung ergänzt und trägt seither die Bezeichnung VarioCam plus.

Der Porsche 6-Zylinder-Boxermotor erklärt
© Bild: Werk

Hinter dem etwas sperrigen Marketingnamen versteckt sich eine clevere Möglichkeit die Steuerzeiten des Motors zu beeinflussen. Denn gerade bei einem Saugmotor ist es wichtig eine gewisse Varianz ins enge Zeitfenster zwischen: Ventil auf, ansaugen, Ventil zu, verdichten, arbeiten und dem neuerlichen Spiel der Ventile zu bringen – will man optimale Leistung und maximales Drehmoment erzielen.

Porsche VarioCam Plus

Und man will, zumal bei Porsche. Bei VarioCam Plus wird deshalb die einlassseitige Verstellung der Nockenwelle (VarioCam) um die Ventilhubumchaltung (Plus) erweitert. Das Ventilhub-Verstellsystem besteht aus schaltbaren Tassenstößeln auf der Einlassseite des Motors, die durch ein elektrohydraulisches Schaltventil betätigt werden. Auf der Einlass-Nockenwelle sind zwei unterschiedliche Nockenformen aufgebracht, die wahlweise durch das Schalten der jeweiligen Nocken die entsprechenden Ventilhubkurven auf den Motor wirken lassen.

Im Detail bestehen die Tassenstößel aus zwei ineinanderliegenden Stößeln, die mit Hilfe eines Bolzens gegeneinander verriegelt werden können. Der innere Stößel ist dabei mit dem kleinen Nocken, der äußere Stößel mit dem großen Nocken in Kontakt.

VarioCam Plus bietet so quasi zwei Motorkonzepte in einem

Im Leerlauf wird durch die Schaltung auf den kleinen Nocken mit einem kleinen Ventilhub und eine Einstellung der Steuerzeiten für geringe Ventilüberschneidung der Gaswechsel optimiert. Durch den kleinen Ventilhub werden eine Reduzierung der Reibleistung und eine deutlich erhöhte Ladungsbewegung durch extrem verkürzte Öffnungszeiten erreicht. Daraus ergeben sich Verbrauchsreduzierungen (bis zu zehn Prozent) bei deutlich verbesserter Leerlaufqualität. Bei Teillast ist zur Entdrosselung des Motors ein Betrieb mit interner Abgasrückführung optimal. Dazu wird bei weiter kleinem Ventilhub die Nockenwellenverstellung auf viel Überschneidungsfläche gestellt. So bleibt genug Zeit, um Abgas aus dem Auspuff zurück zu saugen.

Bei Volllast werden ein hohes Drehmoment und hohe Spitzenleistung durch einen verlustarmen Gaswechsel und durch eine kompromisslos ausgelegte Nockenkontur mit erhöhtem Ventilhub von beispielsweise zehn Millimetern und entsprechend angepasste Öffnungs- und Schließzeitpunkte der Ventilhubkurven erreicht.

Auch der 911 Turbo wurde auf Wasserkühlung umgestellt und erhielt im Jahr 2000 einen neuen Motor mit 420 PS. Erneut nahm die Entwicklung über Hubraum- und Leistungssteigerung ihren Lauf, um Mitte der 2000er-Jahre bei Boxermotoren mit 3,6 und 3,8 Litern und 355 PS anzukommen.

Im Jahr 2008 erhielten 911 Carrera und 911 Carrera S dann von Grund auf neu entwickelte Motoren, erstmals mit Benzindirekteinspritzung. Bei unverändertem Hubraum leisteten sie 345 PS und 385 PS.

Doch auch wenn wichtige Eckdaten unangetastet blieben: Sechszylinder, siebenfach gelagerte Kurbelwelle, Zweimassenschwungrad und ein längsgeteiltes Motorgehäuse, musste Porsche zu Beginn des Wasserboxer-Zeitalters einiges Lehrgeld zahlen. Konstruktive Ungenauigkeiten ließen das gewisse Etwas in Sachen Haltbarkeit vermissen, das gerade die früheren Porsche-Generationen ausgemacht hat.

Der Porsche 6-Zylinder-Boxermotor erklärt
© Bild: Werk

Mit dem Triebwerkstyp 9A1, wollen die Zuffenhausener wieder zu alter zurückgefunden haben, weshalb man nun selbst beim Einstiegsmodell 911 Carrera vor einem Kunstwerk an Motorkonstruktionstechnik steht. Vollaluminium-Bauweise, eh klar. Dazu eine Resonanzsaugrohranlage, die nicht nur mit cleveren Membranen das Ansaugschlürfen feinst in den Innenraum transportiert, sondern dem Triebwerk je nach Drehzahl die größtmögliche Luftmenge liefert. VarioCam Plus haben wir bereits besprochen. Dazu gibt es noch neue Reibpaarungen für Kolbenringe und Zylinderwand, verbesserte Mehrlochdüsen für die Direkteinspritzung und eine kennfeldgesteuertes Thermostat für den komplett neu entworfenen Wasserkreislauf.

Der Porsche 6-Zylinder-Boxermotor erklärt
© Bild: Werk

Der Einstiegsboxer im 911 Carrera leistet nun 350 PS aus einen Hubraum von 3,4 Litern, statt bisher 3,6 Liter. Der 400 PS starke Carrera S behielt seine 3,8 Liter Hubraum. Beide Modelle lassen erkennen, dass die Baureihe 991 als Gesamtpaket auf beste Treibstoffeffizienz hin entwickelt wurden: im NEFZ-Verbrauch legen der 911 Carrera mit 8,2 Liter auf 100 Kilometer und der 911 Carrera S mit 8,7 l/100 km Werte vor, die man in der Realität vielleicht nicht unbedingt schafft, ihnen aber doch sehr nahe kommt.

Doch um Zahlen geht es bei einem 911 Carrera meist sowieso nicht. Es geht um Geräusch und Gefühl. Und daran hat sich seit 1963 nicht viel geändert.

Bleibt abzuwarten, ob das für die neue Generation auch noch gilt. Denn der lange Arm des EU-Flottenverbrauchs reicht auch nach Zuffenhausen. Selbst der Unterschlupf unter den VW-Konzerndeckmantel kann nicht kaschieren, dass in Zukunft noch mehr Wert auf CO2-Emissionen gelegt werden muss. Und so wird der kommende 911 wohl nicht mehr auf einen Saugmotor zurückgreifen können. Ob mit der Turboaufladung auch das Ende des klassischen Elfergefühls kommt? Abwarten.

Technische Daten Typ 991

Motor: Wassergekühlter Sechszylinder-Boxermotor

  • Motorblock und Zylinderköpfe aus Aluminium
  • vier obenliegende Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, einlassseitig variable Steuerzeiten und Ventilhubumschaltung (VarioCam Plus)
  • hydraulischer Ventilspielausgleich
  • Benzindirekteinspritzung
  • je ein Dreiwege-Katalysator mit zwei Lambdasonden pro Zylinderreihe
  • Motoröl 10,1 Liter
  • elektronische Zündung mit ruhender Zündverteilung (sechs aktive Zündmodule)
  • Thermomanagement für Kühlmittelkreislauf
  • Auto-Start-Stopp-Funktion

Technische Daten 911 Carrera (Typ 991)

  • Bohrung: 97 mm
  • Hub: 77,5 mm
  • Hubraum: 3.436 cm3
  • Verdichtung: 12,5:1
  • Motorleistung: 257 kW (350 PS) bei 7.400/min
  • Max. Drehmoment: 390 Nm bei 5.600/min
  • Literleistung: 74,8 kW/Liter (101,9 PS/Liter)
  • Höchstdrehzahl: 7.800/min
  • Kraftstoffart: Super Plus
  • Elektrik: 12 Volt; Drehstromgenerator 2.100 W; Batterie 70 Ah, 450 A; Bordnetzrekuperation

Fahrleistungen 911 Carrera (Typ 991)

  • Höchstgeschwindigkeit 289 (mit PDK 287) km/h
  • Beschleunigung 0 – 100 km/h 4,8s (mit PDK 4,6s, mit Sport Plus und PDK 4,4 s)
  • Beschleunigung 0 – 200 km/h 16,2s (mit PDK 15,7s, mit Sport Plus und PDK 15,4 s)

Verbrauch (NEFZ) 911 Carrera (Typ 991)

  • innerstädtisch 12,8 (11,2) Liter/100 km
  • außerstädtisch 6,8 (6,5) Liter/100 km
  • gesamt 9,0 (8,2) Liter/100 km
  • CO2-Emissionen: 212 (194) g/km
  • Schadstoffklasse: Euro 5

Technische Daten 911 Carrera S (Typ 991)

  • Bohrung: 102 mm
  • Hub: 77,5 mm
  • Hubraum: 3.800 cm3
  • Verdichtung: 12,5:1
  • Motorleistung: 294 kW (400 PS) bei 7.400/min
  • Max. Drehmoment: 440 Nm bei 5.600/min
  • Literleistung: 77,4 kW/Liter (105,3 PS/Liter)
  • Höchstdrehzahl: 7.800/min
  • Kraftstoffart: Super Plus
  • Elektrik: 12 Volt; Drehstromgenerator 2.100 W; Batterie 70 Ah, 450 A; Bordnetzrekuperation

Fahrleistungen 911 Carrera S (Typ 991)

  • 911 Carrera (Typ 991): 304 (mit PDK 302) km/h
  • Beschleunigung: 0 – 100 km/h 4,5s (mit PDK 4,3s, mit Sport Plus und PDK* 4,1s)
  • Beschleunigung: 0 – 200 km/h 14,4s (mit PDK 13,9s, mit Sport Plus und PDK* 13,6s)

Verbrauch (NEFZ) 911 Carrera S (Typ 991)

  • innerstädtisch 13,8 (12,2) Liter/100 km
  • außerstädtisch 7,1 (6,7) Liter/100 km
  • gesamt 9,5 (8,7) Liter/100 km
  • CO2-Emissionen: 224 (205) g/km
  • Schadstoffklasse: Euro 5

Themen