Autorevue Magazin-Archiv: Ausgabe 10/1976

Ausgabe der Autorevue vom Oktober 1976 mit Cover, Editorial & Impressum

Veröffentlicht am 08.04.2013

Der Motor als Neutrum?

 

Vielleicht deuteltn wir zuviel hinein, aber während der Erstellung des Testberichts über den neuen Volvo 343 stand plötzlich die Frage im Raum, ob in diesem Auto nicht ein Stück undeklarierter, sozusagen insgeheimer, Ideologie mitfährt. Ist dieser Wagen als Modell auch im zweiten Sinn des Wortes gedacht, wird uns wieder einmal ein „schwedischer Weg“ präsentiert – oder ist’s bloß Zufall?

Grundsätzlich ist zur Firma Volvo zu sagen, daß sie ein auf Umsatz und Gewinn orientiertes Unternehmen ist wie alle anderen Autowerke auch – und kein Verein von Menschenfreunden. Eine Firma, die auf internationale Wettbewerbsfähigkeit angewiesen ist, dabei aber mit den extrem hohen schwedischen Gestehungskosten operieren muß, kann keine Dutzendautos bauen, keine Kadetts und keine Escorts. Sie muß sich durch einen besonderen Akzent profilieren. Dieser Akzent ist bei Volvo (wie auch bei Saab) Sicherheit. Das ergibt die glückliche Konstellation, daß die Sorge ums Geld der Firma und ums Wohl des Volkes Geschwister sein dürfen, sie laufen parallel Damit es so bleibt, darf man mit seiner Sorge ums Volkswohl nicht hintan halten, man muß diese Sorge publik machen, die Volvo-Werbung muß Sicherheit anpreisen und verkaufen. Auch das ist vollkommen in Ordnung, sogar beispielhaft. Die Gefahren liegen auf der Hand, etwa: Übertreibung. In Österreich brauchen wir uns nicht zu beklagen, aber in Deutschland gibt es ja immerhin die Fernseh-Werbung: „Volvo 343 macht frei von Unfallangst.“ Dazu sagt die deutsche „Autozeitung“: „Leichtfertig suggeriert er (der Spruch) den Konsumenten, daß sie mit einem Volvo Unverletzlichkeit kaufen.“

Wenn Sicherheit in großem Stil vermarktet wird, ergibt sich aber eine weitere Gefahr: Sich an spektakulären Vordergründigkeiten hochzuziehen. Man kann Autos bauen, die neben ihrem Hauptzweck (die Mobilität eines Individuums von Punkt A nach Punkt X zu ermöglichen) überwiegend auf das passive Abwehren von möglichen Gefahren ausgerichtet sind. Auch dazu braucht’s Ingenieur-Cleverness, natürlich, außerdem aber Blech, Gewicht, Platz und hundert Details. Man kann aus Blech einen Kult und aus der Stoßstange ein Wahrzeichen machen. Wenn einer einen Lkw frontal rammt, nützt ihm das alles nichts, soviel wissen wir. Daher liefern uns die Werke auch die Möglichkeit, v o r h e r optimal zu reagieren, durch besonders gutes Bremsen, durch kräftiges Spurten, durch problemloses Haken-schlagen-Können und so weiter.

Wer Sicherheit sagt, muß sich zum ganzen Paket bekennen, zur aktiven und passiven Sicherheit. Volvo liefert dieses Bekenntnis ausdrücklich in seiner Werbung und als Bestandteil seiner Philosophie und glaubt, dies auch anhand des teilweise Daf-geplanten 343 zu beweisen. Nach unserem Dafürhalten ist aber der Akzent zu weit in Richtung Defensive verschoben. Ein konventioneller 1,4-Liter-Motro in einem derart schweren Wagen, dazu noch die verzögerte Spurreaktion der Riemenscheibenautomatik – und das in einem brandneuen, also zukunftsorientierten Auto … sieht der Sicherheitstrend der kommenden Jahre wirklich so aus? Muß Überholen so mühsam sein?

In bezug auf die Charakteristik der Leistungsentfaltung wird man an einen Diesel erinnert. Wir haben nichts gegen Diesel, im Gegenteil, wir nehmen in diesen Tagen sogar ein Dieselauto in den Dauertestbetrieb, um möglichst viele Erfahrungen weitergeben zu können. Aber der Diesel hat das klar deklarierte Ziel des Sparen-Wollens; das etwas trägere Fahren bietet also einen Gegenwert. Im 110.000 Schilling teuren Volvo 343 gibt es keinen Gegenwert für die Untermotorisierung (damit meinen wir die Einheit von kleinem Motor und Variomatic, die ja nicht gerade leistungsfördernd ist). Bleiben zwei mögliche Schlüsse:

a) Nichts hineindeuteln, sondern wirtschaftliche Gegebenheiten zusammenzählen: Volvo-Image in der (teuren) Mittelklasse müßte sich gut verkaufen lassen, die ehemaligen Daf-77-Pläne existieren nun einmal, dadurch ließ sich Zeit gewinnen; die Riemen-Automatik hat ihre Freunde, man muß nur vielleicht auf sie Rücksicht nehmen, weil sie möglicherweise auf Dauer keinen stärkeren Motor verträgt.

b) Erzieherische Gründe. Bisher waren teure Autos zumeist auch schnell. Da immer langsamer gefahren werden soll, die Industrie aber nicht nur billige Autos produzieren will, muß der Autoverkäufer zu einem neujen Kostendenken umerzogen werden: Der Motor wird aus der bisherigen Ware-für-Geld-Relation ausgeklammert, er wird zum wertfreien Neutrum. Zu erreichen ist dieser Weg über Sicherheits-Klischees, etwa: Sicheres Fahren = Langsames Fahren. Mit einem Auto, das sich schlecht zum Überholen im Bereich Tempo 90 und darüber eignet, gewöhnt man sich das Überholen ab. Wer nicht überholt, fährt sicherer.

Wir schieben dem Volvo 343 nichts in die Schuhe. Es ist bloß so, daß die Konstellation zum Denken anregt, zum Denken über Strömungen, Trends und Zukunft. Und wir glauben doch alle an eine Zukunft des Individualverkehrs, oder?

Der Test des Volvo 343 beginnt auf Seite 16. Dort ist auch von den vielen Meriten des Wagens die Rede.

 

Ihr

Herbert Völker

 

 

 

INHALTSVERZEICHNIS

 

Test

Herbert Völker, Bernd Schilling: Volvo 343 (Seite 16)

Franz Stehno, Bernd Schilling: Dauertest Alfasud ti (Seite 22)

Neue Modelle

Franz Stehno: Alfasud Sprint (Seite 12)

Herbert Völker: VW Golf Diesel (Seite 14)

AUTOREVUE-Cartoon

Zeichnung: Bugatti (Seite 2)

Information

Produkte (Seite 4, 5)

Neue Modelle, Wirtschaft, Recht (Seite 6)

AUTOREVUE-Interview mit Porsche-Chef Dr. Fuhrmann: Kommt Österreich-Porsche? (Seite 10)

Motorrad

Zweirad-News (Seite 54)

Dauertest Yamaha XS 500: 1. Zwischenbericht (Seite 57)

Fahrbericht BMW Reieh 7 (Seite 58)

Sport

Hugh Bishop: AUTOREVUE-Mittelbild Rallye der 1000 Seen: Markku Alén auf Fiat 131 Abarth rally (Seite 40/41)

Herbert Völker, Heinz Dieter Fink: Rekordfahrten in Bonneville (Seite 28)

Philipp Waldeck, Schilling, Rottensteiner: Der Triumph-Club (Seite 48)

Helmut Zwickl, Rottensteiner, DPPI: GP Holland (Seite 36)

Heinz Prüller, Rottensteiner: GP Italien (Seite 42)

Niki Lauda erzählt (Seite 46)

Internationaler Motorsport (Seite 62)

Nationaler Motorsport (Seite 64)

AUTOREVUE-Kalender (Seite 77)

Leserdienst

Gebrauchtwagenbörse (Seite 78)

Motorradpreise (Seite 79)

Neuwagenpreise (Seite 80)

Steuer, Versicherung, Zulassungen (Seite III. U.)