Autorevue Magazin-Archiv: Ausgabe 04/1991

Ausgabe der Autorevue vom April 1991 mit Cover, Editorial & Impressum

Zuletzt aktualisiert am 08.09.2020

Lieber Leser, liebe Leserin,

der Autorevue geht es wie der europäischen Autoindustrie. Stolze Rekorde, fette Tage, und es wir immer toller. Der nächste Schub wird überhaupt ein Wahnsinn.

Aus anderer Sicht wird eine Sackgasse vollgestopft mit immer besserem Zeug, und immer voller.

Der Genfer Salon war ein Bild dieser Unentrinnbarkeit und der sich daraus ergebenden Ratlosigkeit. Noch nie wurden so viele aufregende Autos und so wenige Alternativen gezeigt, und selten an einem Salon fand man so wenige Worte zu strukturellen Perspektiven.

Aus allen ihren eigenen Gesetzen kann die Industrie nur so handeln, wie sie handelt. Gemeinschaftliche Beschränkungen sind nicht drin. Jeder Markt muß zuerst erschlossen, dann gedehnt werden, unabänderlich. Der offene Osten vergrößert zwar die Probleme für Umwelt und Verkehr, vor allem aber vergrößert er den Markt. Der folgt seinem Grundgesetz: Vakuum, ansaugen, schlupp, auffüllen. Es gibt keinerlei Bremse.

Die Industrie kann ihrer eigenen Dynamik nicht davonrennen. Sie ist der Hamster im Radl.

Wichtige Teilaspekte werden vorgeschoben, als könnten sie das Ganze lösen: Etwa Recycling und Entgiftung in den Produktionsvorgängen, da machen wir jetzt tatsächlich Fortschritte. Gut, aber es kann nicht reichen.

Folgerung eins: Die Industrie wird erst bei Zusammenbruch der Märkte neue Lösungen anbieten. (Hoffnung: Es geraten immerhin jetzt schon einige Querdenker auf Top-Jobs, sie werden die selbstreinigende Kraft des Riesen vielleicht auslösen können, – was im Ende nur bedeuten kann: Partnerschaft für Strukturlösungen, mit Einsatz jener Finanzkraft und Manpower der Industrie, wie sie unsere kläglich überforderten Staaten nicht zur Verfügung haben).

Folgerung zwei: Der Markt, also die kaufenden und fahrenden Menschen, werden neue Lösungen auch erst nach dem Zusammenbruch haben wollen. Als Masse können sie ihr Verhalten genauso wenig ändern wie es die Industrie kann. (Hoffnung: Immer mehr Einzelne beginnen damit, vorauszudenken und vorauszuhandeln).

Folgerung drei: Die einzige Schnell-Feuerwehr, die wir haben, sind die Politiker. Die ungeliebten haben zwar reichlich wenig zustandegebracht, aber immerhin noch mehr als Industrie und Markt. Sie waren dort am erfolgreichsten, wo sie möglichst punktuell, sogar isolationistisch, walten konnten. Beispiele: Kalifornien, Skandinavien, Schweiz, Österreich. Man kann daraus schließen, daß eine „Weltpolitik“, „Europapolitik“, uns nicht weiterhilft. Dort wird nur nach den Gesetzen der Masse gehandelt, und die Masse ist unfähig. Sie kann nicht anders.

In je kleineren Einheiten Politik sich darstellt, umso eher kann was bewegt werden. Ich erflehe unendliche Sturheit für unsere Politiker in den EG-Verhandlungen, was Transit und Umweltnormen betrifft. Die Anderen sind nur die Mehreren, nicht die Gescheiteren.

Folgerung vier: Die Autorevue sollte klarstellen, wie sie sich da selber durchlavieren will. Einerseits Konsumbefeuerung, Freude am Motorsport, exotischer Unfug, Waldeckscher Narzißmus, – anderseits das zum Fenster raushängende Büßerhemd, das bei Tempo 200 natürlich fürchterlich knattert.

Die Autorevue wurde vor 26 Jahren als Kleinorgan für automobilen Hedonismus gegründet, Hauptsparte Vollgas.

Sie mauserte sich zum großen Magazin der feinsten Phantasien, Hauptsparte Automobil.

Wir wollen das weder verleugnen noch für die Zukunft in Frage stellen. Es ist unsere Identität.

Wir können aber die Massenträgheit in Industrie, Markt, Politik unterlaufen und die Aspekte des Vorausdenkens und Voraushandelns herausarbeiten und weitertragen. Das wird weder fad noch moralisierend werden.

Das jetzige Heft mag da ein bißchen zynisch wirken. Es spiegelt den qualitativen Gipfelsturm wieder, der den Boom der alten Strukturen begleitet und in diesem Frühling noch einmal alles überrollt. Anders gesagt: Jede Menge Autos, und aufregend gut. Unsere Zwischentöne mögen da ein Haucherl zu subtil sein. Wir werden um sehr viel ausführlicher werden.

 

Herzlichst, Ihr

Herbert Völker