Wahre Schönheit

Portrait eines Sportwagens, der nicht nur für die Autorevue von besonderer Bedeutung ist.

Veröffentlicht am 10.09.2013

In den 50er Jahren hatte Porsche einige wunderbare Straßen-Rennwagen gebaut, es begann mit 550 im Jahr 1954, ging weiter mit dem 718 RSK von 1957, es folgte der RS61. Alle diese Fahrzeuge hatten über einen zwar extrem leichten, aber auch sehr teuren Gitterrohrrahmen verfügt, was sie als Kunden-Fahrzeuge so ziemlich unerschwinglich machte. Anfang der 60er versuchte sich Porsche auch in der Formel 1 und 2, mit wenig ermutigenden Resultaten und hohen Kosten. Die Entscheidung, Renn-Fahrzeuge zu entwickeln, die auch in Kundenhand in den unteren Ligen des Motorsports erfolgreich sein könnten, fiel der Führungsetage nicht besonders schwer – und war auch sicher richtig.

Verstellbares Lenkrad und Pedale

Entwickelt wurde für den neuen Porsche 904 (der offiziell als Carrera GTS angeboten werden musste, weil Peugeot die Namensrechte an allen dreistelligen Zahlen mit einer Null in der Mitte besaß und besitzt) ein Kastenrahmen aus Stahlblech, der zwei Längsträger als Querverbindungen besitzt. Damit konnte ein tiefes Gewicht erreicht werden, wenn  auch nicht ganz so tief, wie es mit dem Gitterrohrrahmen möglich gewesen war. Darüber wurde eine Karosserie aus Kunststoff – glasfaserverstärktes Polyesterharz, eine Entwicklung von BASF – gestülpt, die ebenfalls sehr leicht war. Einziges Problem: besonders verwindungssteif war die neue Konstruktion nicht. Kleine Besonderheit: die Sitze waren fest mit der Karosse verbunden, dafür konnten das Lenkrad und die Pedale in der Länge verstellt werden.

64 x 40 x 20

Vorne im Bug war der Ölkühler (es gab ja eine Trockensumpfschmierung) untergebracht, ein komplettes Reserverad (das Reglement verlangte das so) und der Tank, der 110 Liter fasste. Auch einen Kofferraum hatte der neue Porsche-Rennwagen, denn das Reglement verlangte eine Vertiefung irgendwo am Fahrzeug in der Größe von 64 x 40 x 20 Zentimeter.

0 auf 100 km/h in 5,5 Sekunden

Der 4,09 Meter lange, 1,54 Meter breite und 1,07 Meter hohe Wagen wog nur gerade 650 Kilo. Das reichte für eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 5,5 Sekunden und eine Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h schon in der Straßenversion (die nur 155 PS stark war). 116 Stück vom 904 baute Porsche in den Jahren 1963/64, verkauft wurden sie für verhältnismäßig günstige 29.700 D-Mark. Sein berühmtester Sieg ist wohl jener gleich bei seinem ersten Einsatz, der Targa Florio 1963, die Pucci/Davis gewinnen konnten.

Innenraum des Lister-Jaguar BHL 16
Wer will da nicht mal sitzen?

Doch es war Porsche von Anfang an klar, dass mit dem 2-Liter-Vierzylinder wohl kein Blumentopf zu gewinnen sein würde bei den 24-Stunden- und anderen wichtigen Langstreckenrennen. Also wurden schon 1963 904-Varianten mit Sechs- und auch Achtzylinder-Motoren gebaut, die 904/6 und 904/8. Beim Sechszylinder, 210 PS stark, handelte sich um den bekannten Fuhrmann-Boxer, eine Weiterentwicklung des Motors, wie er auch im Porsche 911 eingebaut wurde.

Und der Achtzylinder war ein Übrigbleibsel aus der kurzen Formel-1-Zeit von Porsche, mit zwei Liter Hubraum leistete die Maschine 230 PS, mit 2,2 Liter Hubraum waren es dann gar 270 PS. So ausgerüstet schaffte der 904/8 in Le Mans 1964 eine Höchstgeschwindigkeit von 282 km/h, musste das Rennen aber wegen eines Kupplungsschadens aufgeben.

Lenkrad und Armaturenbrett des Lister-Jaguar BHL 16
Stil, Stylish, BHL 16

Nicht unter 1,8 Millionen

Beim hier gezeigten Exemplar handelt es sich um ein ganz besonderes Fahrzeug, den Wagen mit der Chassis-Nummer 906-002. Es stand kürzlich in einer Versteigerung von RM Auctions zum Verkauf, konnte aber nicht den gewünschten Preis erzielen (1,8 Mio Dollar wären mindestens nötig gewesen, das höchste Gebot lag bei 1,575 Mio Dollar). Man darf sich auch von der Chassisnummer nicht verwirren lassen, 906-002 ist ein 904 mit Sechszylinder-Motor; der 906 wurde erst 1966 auf den Markt gebracht (Entwicklungsleiter war ein gewisser Ferdinand Piëch) und war noch extremer auf den Rennsport ausgelegt als der 904, was sich allein schon an seinem Gewicht von nur 580 Kilo erkennen ließ. Und an seinem 2-Liter-Sechszylinder, der bis zu 230 PS leistete.

Auspuff des Lister-Jaguar BHL 16
Den Spruch können wir uns schon vorstellen, oder?

Und aus Gründen der Gewichtsersparnis mit einem Motorgehäuse aus Elektron, Pleueln aus Titan und Zylinderköpfen aus Leichtmetall versehen wurde (damit ließen sich allein am Motor sagenhafte 54 Kilo einsparen). Verkauft wurde der 906 als Carrera 6, 65 Stück wurden zu einem Preis von 45.000 D-Mark abgesetzt. Und um die Verwirrung komplett zu machen: auch den 906 (also den Carrera 6) gab es mit Achtzylinder-Motor.

Sechs Versuchsträger

Chassisnummer 906-002 wurde 1963 gebaut und bis Ende 1965 als Versuchsträger eingesetzt. Es gab insgesamt sechs solcher Versuchsträger, 906-001, -002, -005, -006, -011 und -012. -002 wurde Ende 1965 zum Verkauf ausgeschrieben und am 10. Mai 1966 vom deutschen Gentleman-Fahrer Michel Weber gekauft, der den Wagen ziemlich erfolgreich bei verschiedenen Bergrennen einsetzte. 1967 kam der Wagen dann in die Schweiz, zu Peter Ditzler und Ruedi Jauslin, die den Porsche unter anderem beim 3-Stunden-Rennen auf dem Hockenheimring auf einen zweiten Rang in ihrer Klasse fuhren. Ende 1967 kaufte ein US-Air-Force-Major Berny Barns 906-002 und brachte den Wagen in die USA.

Seitenansicht des Lister-Jaguar BHL 16
Ohne Worte

Die 904 und 906 sollten die letzten echten Rennwagen sein, die Porsche speziell für die Bedürfnisse von privaten Rennteams baute – und von denen es auch Straßen-Versionen gab. Und diese Sportgeräte brachten Porsche auch zum Umdenken: zwar waren diese Fahrzeuge kommerziell erfolgreich, doch sie waren zu langsam, um die ganz großen Rennsiege einzufahren. Porsche beschleunigte, unter der Leitung von Ferdinand Piëch, nach dem 906 die Entwicklung, der 910-6/910-8 (ab 1966), der 907 (1967) und vor allem der ab 1968 eingesetzte 908 sowie der 1969 vorgestellte 917 waren dann schon reinrassige Rennwagen. Und bescherten Porsche dann endlich auch den lang ersehnten Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans (1970, Porsche 917K, Herrmann/Attwood). Aber das ist dann noch einmal eine ganz andere Geschichte.

 

Vielen Dank an die Kollegen von www.radical-mag.com