Autorevue Magazin-Archiv: Ausgabe 02/1985

Ausgabe der Autorevue vom Februar 1985 mit Cover, Editorial & Impressum

Veröffentlicht am 08.04.2013

Lieber Leser,

dies ist die erste Autorevue nach der Gala-Nummer, ein sogennantes Windschattenheft. Freunde fragen uns: „Gibt es eigentlich noch ein Leben nach der Jubiläumsausgabe? Ihr müßt doch vollkommen ausgeblutet sein.“

Zugegeben, die Latte liegt hoch und Herbert ist auch nicht da (noch kein Anruf aus Dakar), aber immerhin nehmen wir herzhaft Anlauf und einen der tollsten Hopser haben wir auf Seite 26 eingebaut, wo Friedrich Ehn und Peter Kumpa dem treusten Tier gratulieren, das je auf Rädern lief und läuft und läuft.

In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen ein anderes Mysterium nahebringen. Wir brauchen alle unsere kleinen Mysterien, und je weiter wir uns öffnen und je wirksamer unsere Geste sein soll, desto dringender benötigen wir jene kleine Dunkelkammer, durch die alles hindurchmuß und in der „es passiert“.

Das Mysterium der Autorevue steckt in der Wiener Pouthongasse 3 hinter einem blauen Tor: Die Maschinensetzerei Friedrich Brandstetter. Dort stehen fünf mächtig stampfende, hurtig klinselnde monströse Linotypes, jene erhabenen Denkmäler hoher Maschinenbaukunst der frühindustriellen Epoche. Kein Industrial Design konnte ihrer saurierhaften Erscheinung beikommen, sie haben sich äußerlich und von der Funktion her kaum vom Grundmodell der Jahrhundertwende entfernt. Bedient werden sie von Herrn Brandstetter und seinen Leuten, lauter aufrechte Handwerker, die ihre flinken Finger über die ausladenden Tastaturen am Fuße der Maschinenberge rattern lassen. Langsam, fürs Auge nicht erkennbar, schmilzt der Bleibarren ins flüssigheiße Metallbad. Beharrlich, wie Linienbusse aus einer Remise, schieben sich die frischgegossenen, noch heißen Zeilen ins Freie. Jedes dieser Plättchen trägt seinen Text auf der Schmalseite, alle zusammen dicht hintereinandergestellt bilden einen spiegelverkehrten Textblock, der mit Gefühl und Kurbelkraft von der Handpresse auf Papier abgezogen wird. Mit elegantem Schwung serviert uns der Herr Rudi die frische Fahne zur Korrektur, ein druckerschwarzes Trittmuster einer Ameisenkompanie. Und eingegeben habe wir ein zerknülltes Gummidampf- und Turbofeuermanuskript, das Heinz Prüller auf irgendeiner öligen Boxenmauer getippt hatte.

Monatlich erleben wir diese reinigenden Wunder, die nicht nur Form und Ordnung in unsere verwilderten Notizen bringen, sondern auf seltsame Art und Weise auch den Inhalt zu säubern und pflegen scheinen.

„Bleisatz“, fragen jene Leute, die sich auskennen, „eure Autorevue wird also wirklich noch in Blei gesetzt? Am Ende noch mit Handsatztiteln? Ja Kinder, heute wird doch alles nur mehr von den Satzstudios in Terminals geklopft, kein Schmutz, kein Lärm, sondern saubere Büroarbeit in klimatisierten Räumen, billige Anlernkräfte, Zeitgewinn, Bildschirmlayout – das Medium muß schneller werden, flexibler. Bleisatz! Den verwenden doch nur noch ein paar Schweizer Verlage, die sich sentimentalerweise in hohe Qualität verbohrt haben.“

Unsere Antwort ist einfach: Wir brauchen unsere Geiserbahn der monatlichen Läuterung. Den gewissenhaften Herrn Traindl, der, unterstützt von Brandstetter junior, die Handsatzlettern, aus denen beispielsweise der Liebe Leser auf dieser Seite besteht, aus dem Setzkasten pickt und in den Winkelhaken rutschen läßt und die Textblöcke nach der Layoutvorlage so zusammenstellt, daß Autorevue-Seiten daraus werden. Den jungen Herrn Binder, dem keine Rechtschreib- und Satzregel fremd ist und der Geduld hat mit unseren seltsamen Wortschöpfungen. Wir brauchen das Mysterium, den Ursprung unserer tief verhafteten Achtung vor dem gedruckten Wort und wir sind sehr glücklich, das alles in jener kleinen Hinterhofsetzerei zu finden, die Sie jetzt auch ein wenig kennengelernt haben. Und das ist gut so.

Ihr
David Staretz

Frisch aus dem Bach – Renault 5 GTS